NOTIERT IN MAILAND

Die Renaissance des Portinaio

An Severino kommt keiner vorbei. Schon um fünf Uhr morgens stellt er die Mülltonnen auf die Straße. Später putzt, wischt und kehrt er unermüdlich, schneidet Bäume und Sträucher im Garten, nimmt Briefe und Pakete entgegen oder kümmert sich um...

Die Renaissance des Portinaio

An Severino kommt keiner vorbei. Schon um fünf Uhr morgens stellt er die Mülltonnen auf die Straße. Später putzt, wischt und kehrt er unermüdlich, schneidet Bäume und Sträucher im Garten, nimmt Briefe und Pakete entgegen oder kümmert sich um kleinere technische Probleme und Reparaturen in der Wohnanlage im gutbürgerlichen Mailänder Viertel in der Nähe des Corso Vercelli. Dabei hat er stets im Blick, wer raus- und reingeht.Severino ist Portinaio, eine Art Hausmeister. In Frankreich würde er als Concièrge bezeichnet. Und wie diesen entgeht auch ihm nichts. Er kennt den neuesten Tratsch im Viertel und weiß immer Neuigkeiten über den AC Mailand. Denn er ist Tifoso des Fußballvereins und geht regelmäßig ins Stadion. Gerade für die älteren Bewohner ist er aber auch wichtiger Gesprächspartner. Er hat diverse “Nebenjobs”, verrichtet kleinere Dienstleistungen, findet irgendwo ein kleines Kabuff zum Abstellen des Fahrrads und ist auch nach Dienstschluss zur Stelle, wenn es einen Notfall in der Wohnung gibt. Ab und an sieht man in seiner verglasten Box am Eingang auch Obstpaletten. Er bezieht die Ware “günstig und aus guter Quelle” in Süditalien und verkauft sie “zum Sonderpreis” an die Bewohner.Für seine kleinen Dienstleistungen nimmt er gern mal einen Schein entgegen. Da kommt offenbar einiges zusammen. Denn allein von seinem Monatsgehalt, das tarifvertraglich geregelt ist und bei 1 200 Euro liegt – dazu kommt die für ihn kostenfreie Dienstwohnung – könnte er sich nicht zwei Urlaube in einem Ferienhaus in seiner Heimat Apulien (“ich muss nur über die Straße und bin schon am Strand”), gelegentliche Wochenenden in Ligurien, ein iPhone für seinen Sohn und ein neues Rennrad für 3 500 Euro oder regelmäßige Restaurantbesuche leisten. Denn Mailand ist teuer und da muss man schauen, wo man bleibt.Ein Posten als Portinaio war für Ungelernte viele Jahre fast wie ein Gewinn im Lotto. Er sicherte ein regelmäßiges Einkommen mit Nebeneinkünften und eine Wohnung und wurde oft an die nächste Generation vererbt. Bis zu 16 000 Portinai soll es in den 70er Jahren allein in Mailand gegeben haben. Doch irgendwann wurde der Ausgabenposten vielen Hausgemeinschaften zu teuer. Sie ließen lieber Videoüberwachung und andere Sicherheitssysteme installieren und verpflichteten externe Putzdienste zum Sauberhalten der Anlage. Nun gibt es einen Gegentrend. Angeblich hat sich die Zahl der Portinai in Italien in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Allein in Mailand sollen es wieder 8 000 sein. Etwa die Hälfte arbeitet Vollzeit.Gründe für die Renaissance der Portinai gibt es viele. Ganz oben steht die Sicherheit. In Anlagen mit Portinaio soll es 80 % weniger Diebstähle geben. Vor allem ältere Menschen sind effektiver gegen Betrügereien an der Wohnungstür gesichert, denn einem Severino entgeht nichts. Die Anlagen sind auch sauberer. Severino kehrt jedes Blatt weg und beseitigt auch Hundekot, der auf dem Gehsteig vor der Wohnanlage liegt. Besonders zugute kommt der Berufsgattung jedoch der E-Commerce-Boom. In neueren Wohnanlagen wie dem Washington Building oder Sei Milano gibt es große Abstellräume für die vielen Pakete, die sogar Kühlmöglichkeiten für besondere Sendungen vorsehen. Da braucht es schon einen verlässlichen Portinaio, der die Übersicht behält. Auch kommen neue Dienstleistungen dazu, etwa das Organisieren eines Babysitters oder die Bestellung eines Tisches im Restaurant. Und es gibt noch ein Argument: Wohnungen mit einem Portinaio verkaufen sich angeblich besser.So hat Severino, der gerade seinen 50. Geburtstag gefeiert hat, durchaus Zukunft – auch wenn er bisweilen jammert, dass er von manchem Bewohner von oben herab behandelt wird. Wie 60 % der Portinai ist auch Severino, der zwölf Geschwister hat, Italiener. Doch Ausländer sind auf dem Vormarsch, vor allem Philippinos.Severino indes träumt vom großen Lottogewinn, um seinen Job an den Nagel hängen zu können. Einstweilen bescheidet er sich mit gelegentlichen Fußball-Toto-Gewinnen und bringt sich bei dem aus München stammenden Autor als potenzieller FC-Bayern-Trainer ins Gespräch. Zumindest wenn es gegen den Milan ginge, wäre das für die Münchner keine gute Idee.