Die russische Wirtschaft kommt ins Straucheln

Ausstehende Löhne, unbezahlte Lieferungen, faule Kredite: Im vierten Jahr des Ukraine-Krieges wird allmählich Realität, wovor Beobachter schon lange warnen. Banken bereiten sich auf Schlimmeres vor. Ein weiteres Indiz, dass Russlands Wirtschaft einen Frieden braucht.

Die russische Wirtschaft kommt ins Straucheln

Russische Wirtschaft
kommt ins Straucheln

Restriktive Geldpolitik führt zu Zahlungsschwierigkeiten

Ausstehende Löhne, unbezahlte Lieferungen, faule Kredite: Im vierten Jahr des Ukraine-Krieges wird allmählich Realität, wovor Beobachter schon lange warnen. Banken bereiten sich auf Schlimmeres vor. Ein weiteres Indiz, dass Russlands Wirtschaft einen Frieden braucht.

Von Eduard Steiner, Moskau

In Russland ziehen sich die Folgen der Inflation, ausgelöst durch die hohen Ausgaben für den Krieg, und die geldpolitische Reaktion darauf, in der Breite der Wirtschaft. Zwar scheint die Zentralbank mit ihrem hohen Leitzins (lange 21% und seit Kurzem 20%) erstmals eine Verlangsamung der Teuerung erreicht zu haben. Aber gleichzeitig hat die extrem restriktive Geldpolitik zu Zahlungsschwierigkeiten geführt, die nun immer offensichtlicher werden.

Lohnrückstände wachsen

So etwa bei den Löhnen. Waren diese in den vergangenen Jahren – vor allem im militärischen Sektor und den ihm vorgelagerten Bereichen – wegen des Arbeitskräftemangels rasant gestiegen, so nehmen plötzlich die überfälligen Lohnrückstände der Unternehmen zu. Zwar ist die offizielle Schuldensumme mit 1,7 Mrd. Rubel (18,6 Mill. Euro) Stand Ende Mai nicht wirklich hoch. Aber zum April stieg sie laut Statistikamt um 12,2%. Den Unternehmen würden die Eigenmittel fehlen, hieß es.

Schon im Herbst 2024 hatten kritische Stimmen in der Wirtschaft gewarnt, dass das restriktive Vorgehen der Zentralbank – gerade angesichts der nun scharf abbremsenden Konjunktur mit möglicher Rezession – den Unternehmen die Luft zum Atmen nimmt. „Die Gefahr ist groß, dass immer mehr Unternehmen pleitegehen, weil sie wegen der hohen Kreditzinsen keinen Gewinn mehr machen“, sagte etwa Oleg Vjugin, Ex-Vizechef der russischen Zentralbank und heute Aufsichtsrat in mehreren russischen Konzernen, Anfang Juni im Interview mit der „Börsen-Zeitung“. Die Vorstufe in Gestalt der Zahlungsschwierigkeiten ist bereits da.

Zahlungsschwierigkeiten häufen sich

Das Moskauer Zentrum für makroökonische Analyse und kurzfristige Prognostik (CMASF), geleitet vom Bruder des aktuellen Verteidigungsministers Belousow, hat bei Zahlungsausfällen zwischen Unternehmen nicht nur eine generell negative Dynamik festgestellt. In 13 von 37 untersuchten Branchen konnte ein Betriebskapital immer öfter nur noch dann gebildet werden kann, wenn die Verbindlichkeiten bei Lieferungen und Leistungen erhöht werden. Am meisten betroffen seien die Kohleförderung, Metallurgie, Auto-, Schiff- und Flugzeugproduktion, aber auch die Förderung von Gas und Öl sowie ihre Raffinierung.

Von einer Krise der Zahlungsausfälle ist daher immer mehr die Rede. Dass sie in gewissen Sektoren gehäuft auftreten, hat mit der Zweiteilung der Wirtschaft seit Beginn des Ukrainekrieges zu tun. So verdankt sich auch das starke Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei Jahre großteils dem staatsnahen Bereich und den üppigen Zahlungen an Soldaten und Hinterbliebene. Und auch der Anstieg der Industrieproduktion im Mai ist laut CMASF zu zwei Dritteln „auf einen starken Produktionssprung in Sektoren zurückzuführen, in denen Rüstungsprodukte dominieren“.

Immer mehr faule Kredite

Es steigen nicht nur die Zahlungsausfälle zwischen den Unternehmen, sondern auch die Anzahl der faulen Kredite bei den Banken. Zwar hoffen die Wirtschaftstreibenden auf eine rasantere Leitzinssenkung ab der nächsten Zentralbanksitzung kommenden Freitag. Aber dass es ganz schnell von den jetzigen 20 auf 15% oder tiefer geht, traut man den eher konservativen Währungshütern nicht zu. Und so wird die Schuldenlast immer unerträglicher – einmal abgesehen davon, dass die Investitionstätigkeit nicht angekurbelt wird.

Ganze 13 der 78 größten Konzerne des Landes hätten inzwischen Schwierigkeiten, ihre Schulden zu tilgen, schrieb die Zentralbank in ihrem Bericht von Mai – um sieben mehr als Ende Juni 2024. Vom „Risiko einer systemischen Bankenkrise“ innerhalb der nächsten zwölf Monate schrieb daher die Nachrichtenagentur Bloomberg. Insidern zufolge zeigen sich die russischen Banken, die im vergangenen Jahr Rekordgewinne von 3,8 Bill. Rubel eingefahren haben, „zunehmend besorgt über die Höhe fauler Kredite in ihren Bilanzen“. Mehrere Billionen Rubel sollen es sein.

Banken suchen Ausweg

Mindestens drei der von der Zentralbank als systemrelevant eingestuften Banken überlegen den Insidern zufolge, im Falle weiter wachsender, notleidender Kredite auf Jahressicht staatliche Rettungsgelder zu beantragen. Offiziell lag der Anteil notleidender Unternehmenskredite zum 1. April bei nur 4%. Bei unbesicherten Verbraucherkrediten mit mehr als 90 Tagen Rückstand lag die Quote bei 10,5%. Die Zentralbank hält demnach die Bedenken der Banker für „absolut unbegründet.“ Die Banken selbst aber bleiben besorgt, weil sie die Kreditqualität deutlich pessimistischer einschätzen, als auf den offiziell veröffentlichten Daten sichtbar werde, schreibt Bloomberg.

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