NOTIERT IN SCHANGHAI

Die spinnen, die Amerikaner

Für Chinesen ist spätestens seit Anfang August der Fall völlig klar: "Meiguo feng le - die spinnen, die Amerikaner". Die meisten Chinesen haben bei all den komplizierten handels-, geo-, und industriepolitischen Facetten der seit zwei Jahren...

Die spinnen, die Amerikaner

Für Chinesen ist spätestens seit Anfang August der Fall völlig klar: “Meiguo feng le – die spinnen, die Amerikaner”. Die meisten Chinesen haben bei all den komplizierten handels-, geo-, und industriepolitischen Facetten der seit zwei Jahren andauernden Streitigkeiten zwischen China und den USA eine gewisse Gelassenheit an den Tag gelegt. Es geht halt um Machtpolitik. Und sofern man nicht gerade selbst Warenexporteur mit US-Kunden als Hauptabnehmern oder ein für patriotische Aufwallungen besonders anfälliger Mensch ist, muss man sich zumindest nicht tagein und tagaus mit der Materie beschäftigen.Nun aber, passend zur Sommermitte, wird es hitzig. Rund 1,2 Milliarden Menschen und damit praktisch alle im Reich der Mitte, die nicht gerade im Säuglings- oder Seniorenalter sind, echauffieren sich über Washingtons neueste China-Offensive. Sie soll darauf hinauslaufen, die beiden beliebtesten chinesischen Kommunikationsinstrumente, die Video-Sharing-Plattform Tiktok und den Messengerdienst Wechat, möglichst weltweit als Social Media non grata zu brandmarken. Damit wird der US-China-Streit persönlich. Denn allein wer etwas gegen Wechat unternimmt – ein Amalgam aus Facebook, Instagram, Whatsapp, Paypal und einigem mehr -, hat es sich mit praktisch jedem chinesischen Smartphone-Nutzer verscherzt. *Natürlich können die Amerikaner nicht verhindern, dass weit über eine Milliarde Chinesen auch in Zukunft einen bedeutenden Teil des Alltags damit verbringen, via Wechat zu kommunizieren oder sich auf dem in China Douyin genannten Tiktok-Dienst zu vergnügen. Sie können oder wollen aber zumindest dafür sorgen, dass Tiktok und Wechat von Amerikanern und im Kreise besonders enger Alliierter nicht mehr genutzt werden können. Zudem sollen auch amerikanische Firmen nicht mehr in geschäftliche Berührung mit den Betreibergesellschaften Bytedance (Tiktok) und Tencent (Wechat) kommen.Donald Trump und sein in China besonders verhasster – weil im Gegensatz zum US-Präsidenten tatsächlich ernst genommener – Außenminister Mike Pompeo haben in öffentlichen Auftritten ihren China-Coup stolz zur Schau getragen. Sie stellen sich ihre auf wackeligen Rechtsgrundlagen stehende Offensive, die Mitte September in Kraft treten soll, denkbar einfach vor. Es muss nur gelingen, Tiktok und Wechat aus den einschlägigen App Stores zu verbannen, und schon ist eine weitere Birne geschält: Nach dem Telekomausrüster und Smartphonebauer Huawei wären dann auch zwei führende chinesische Internetdienstanbieter in ihrem internationalen Expansionsdrang empfindlich gestört.Handelt es bei dem Vorstoß um eine besonders raffinierte Methode, die das sogenannte “Decoupling” voranzutreiben vermag, um wirtschaftliche und soziale Verbindungen zwischen China und den USA zu reduzieren? Trump und Pompeo klopfen einander auf die Schultern, aber China-Experten in den USA und US-Experten in China tippen sich eher an die Stirn. Und den gequälten Blick von US-Konzernmanagern mit umfangreichem China-Geschäft, allen voran Apple-CEO Tim Cook, möchte man erst gar nicht sehen. *Während mit einer Blockade von Tiktok vor allem Scharen amerikanischer Teenager und vielleicht auch Jungwähler verstört werden, bereitet ein Wechat-Bann der Creme der amerikanischen Konsumartikelhersteller gewaltiges Kopfzerbrechen. Was man hinter den Denkerstirnen im Weißen Haus möglicherweise nicht bedacht hat, zeigt sich in einer ersten Sondierung bei chinesischen Smartphone-Nutzern, die bekanntlich Apple-Geräten äußerst zugetan sind. Wären sie eher bereit, künftig auf den Kauf eines iPhones zu verzichten oder auf die Nutzung von Wechat? Beides zusammen würde ja nach der Verbannung aus App Stores bei Neugeräten nicht mehr gehen. Die Antwort der Handynutzer fällt klar aus: Bei 95 % der Befragten heißt es mehr oder weniger eindeutig: “Dann sch… ich eben auf Apple, denn ohne Wechat kann ich nicht leben.”