NOTIERT IN FRANKFURT

Die Trockenbeerenauslese unter den Nutellas

Als der italienische Süßwarenkonzern Ferrero dereinst im Jahr 2004 den Geburtstag seiner Nuss-Nougat-Creme Nutella feierte, gratulierte der damalige Late-Night-Plauderer Harald Schmidt mit den Worten: "Nutella wird heute 40 Jahre alt - auch in...

Die Trockenbeerenauslese unter den Nutellas

Als der italienische Süßwarenkonzern Ferrero dereinst im Jahr 2004 den Geburtstag seiner Nuss-Nougat-Creme Nutella feierte, gratulierte der damalige Late-Night-Plauderer Harald Schmidt mit den Worten: “Nutella wird heute 40 Jahre alt – auch in mancher Studenten-WG”. Darüber konnte wahrscheinlich nicht jeder lachen. Denn seit langem ist die Konsistenz und Cremigkeit von Nutella ein internationaler Zankapfel – die “Neue Zürcher Zeitung” fand für den Streit, der Europa entzweit, bereits einen dramatischen Namen: Der “Nutella-Graben”.Für diejenigen, die diesen Ost-West-Konflikt der besonderen Art bislang noch nicht im Blick hatten, hier noch einmal in aller Kürze die wichtigsten Meilensteine. Im Jahr 2017 stellt das ungarische Lebensmittelaufsichtsamt NEBIH bei Testkäufen derselben Markenprodukte in österreichischen und ungarischen Einzelhandelsgeschäften Qualitätsunterschiede fest. Nutella beispielsweise ist in Budapest den Studien zufolge nicht so streichzart und cremig wie beim Kauf in Wien. Da andere Behörden aus Visegrád-Ländern bei ihren Produktbeobachtungen zu ähnlichen Ergebnissen gelangen, wird das Thema zum Politikum. Mal wird beanstandet, dass Manner-Schnitten nicht so knusprig seien wie im Heimatland, mal lautet der Vorwurf, die Coca- Cola schmecke fader. Der tschechische Agrarminister Marian Jurecka wird mit der Bemerkung zitiert, man sei doch bitte schön nicht “die Mülltonne Europas”. *Das Thema kocht schließlich so hoch, dass sich die EU-Kommission der Sache annimmt. Von ihr beauftragte Forscher nehmen mehr als 100 Markenprodukte in Augenschein, die in vielen Ländern der EU vertrieben werden. Tatsächlich stellen sie fest, dass fast 10 % aller Produkte, obwohl in Verpackung und Aufmachung identisch, Waren mit ganz anderen Zutaten enthalten. Fast genauso irreführend für den Verbraucher ist die Tatsache, dass es bei weiteren 22 % aller Produkte, die zumindest sehr ähnlich verpackt sind wie im Ursprungsland, ebenfalls deutliche Unterschiede in Zusammensetzung und Zubereitung gibt.Allein: Die EU-Überprüfung kann keinerlei Korrelation zwischen Produktqualität und dem Verkauf in Ost- oder Westeuropa feststellen. Die finstere Vermutung also, dass im Westen – bildlich gesprochen – nur die Trockenbeerenauslese ausgeschenkt wird, während der Osten ausschließlich den Trester vorgesetzt bekommt, bestätigt sich nicht. Behauptet zumindest die Europäische Union. *Eine Frage, die die Gemüter der Europäer nicht minder umtreibt, ist die nach dem Preis für Markenprodukte. Von wegen Binnenmarkt: Der legendäre Big-Mac-Index insinuiert seit Jahren, dass Freunde dieses Frikadellen-Sandwichs eigentlich ihren Urlaub in Tschechien oder Kroatien verbringen sollten. Denn wenn sie dort ordentlich beim Fast Food zuschlagen, können sie die Ausgaben für Zug- oder Flugtickets zumindest teilweise kompensieren.Ähnlich ist das auch bei den schwedischen Hackfleischbällchen, die es in Möbelhäusern gibt. Der Preis für eine Portion Kötbullar ist in der Slowakei deutlich niedriger als in den Niederlanden – wenngleich man fairerweise sagen muss, dass in Bratislava dazu routinemäßig Kartoffelstampf serviert wird und nicht Fritten wie in Den Haag.Aber aufgepasst: Wer bei Ikea nicht nur essen möchte, sondern auch Möbel einkaufen, der sollte nicht glauben, dass Sultan, Bladvass, Gutvik oder Klippan im Süden und Osten Europas ja ganz bestimmt billiger zu haben sind als in den wohlhabenderen Volkswirtschaften im Westen und Norden. Von wegen.Das (wahrscheinlich längst als europäisches Kulturerbe geschützte) Buchregal Billy beispielsweise kostet in seiner Standardversion (80 mal 28 mal 202) in Deutschland 39 Euro – genauso wie in Finnland und fast genauso viel wie in den Niederlanden. Die Griechen hingegen müssen für Billy 45 Euro auf den Tisch blättern. Und die Esten sogar sage und schreibe 54 Euro. Da kann man nur hoffen, dass es im Baltikum wenigstens den Inbus-Schlüssel kostenlos dazugibt.