ANSICHTSSACHE

Die Voraussetzungen für eine Einlagenrückversicherung fehlen

Börsen-Zeitung, 8.11.2019 Wie der jüngste Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zeigt, hat sich die Diskussion über die Sicherung der Bankeinlagen in der Eurozone verlagert: von dem Projekt einer gemeinsamen Einlagen(ver)sicherung zu einer...

Die Voraussetzungen für eine Einlagenrückversicherung fehlen

Wie der jüngste Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zeigt, hat sich die Diskussion über die Sicherung der Bankeinlagen in der Eurozone verlagert: von dem Projekt einer gemeinsamen Einlagen(ver)sicherung zu einer gemeinsamen Einlagenrückversicherung. Erst wenn der Fonds einer nationalen Einlagensicherung erschöpft ist, sollen die Einlagensicherungen der anderen siebzehn Euro-Staaten einspringen, das heißt haften. Wie ist diese Akzentverschiebung zu erklären?Geht es einfach nur darum, in einem ersten Schritt die zu erwartende Umverteilung zwischen den Euro-Staaten zu begrenzen und damit die politischen Widerstände zu vermindern? Ist der Einstieg erst einmal geschafft, könnte bei nächster Gelegenheit die europäische Direktversicherung folgen.Haben sich die Befürworter der Rückversicherung vielleicht zweitens vom Subsidiaritätsprinzip leiten lassen? Im Falle einer Rückversicherung könnte innerhalb der einzelnen Euro-Staaten alles beim Alten bleiben, so dass sie einige Freiräume behalten würden. Zwar verpflichtet die Europäische Richtlinie über Einlagensicherungssysteme aus dem Jahr 2014 alle Mitgliedstaaten der EU dazu, die Bankeinlagen bis 100 000 Euro auf bestimmte Weise zu versichern. Aber nicht alles ist festgelegt. Zum Beispiel können die Gewichte der Risikofaktoren, die in die Berechnung der Beitragssätze eingehen, um 15 Prozentpunkte variieren.Besteht der Charme der Rückversicherung schließlich vielleicht gerade darin, dass sich die Euro-Staaten nicht darüber streiten müssen, wie die Risikoprämien in den Beitragssätzen der Banken am besten berechnet werden können? Aber auch eine Rückversicherung erhebt Versicherungsbeiträge, und auch diese sollten risikogerecht sein.Für die einzelnen Euro-Staaten müssten jeweils gegenüber den anderen siebzehn Ländern risikogerechte Beitragssätze ausgehandelt werden. Dabei ginge es nicht nur um die riesigen internationalen Unterschiede bei den notleidenden Krediten und Staatsanleihen der Banken, sondern auch um die landesspezifischen Risiken. Die Makrovariablen zählenMehrere ökonometrische Analysen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit von Bankenkrisen signifikant von Makrovariablen wie der Arbeitslosenquote, den Immobilienpreisen, der Volatilität des Wirtschaftswachstums, der Staatsverschuldung und dem Pro-Kopf-Einkommen abhängt. Eine Untersuchung der Europäischen Zentralbank (EZB) kam 2013 sogar zu dem Ergebnis, dass die länderspezifischen Indikatoren mehr zur Prognose des Insolvenzrisikos einzelner Banken beitragen als die bankenspezifischen Indikatoren. Wenn es permanente länderspezifische Risikofaktoren gibt, genügt es nicht darauf abzustellen, ob die Risiken vielleicht nächstes Jahr niedrig und vor allem weniger unterschiedlich sind. Denn die zu erwartenden Risiken können von länderspezifischen Strukturmerkmalen bestimmt werden, die langfristig wirksam sind. Man könnte zum Beispiel fragen, ob einzelne Euro-Staaten schon in der Vergangenheit – vor 2007 und 2008 – schwere Bankenkrisen durchgemacht haben. Für Griechenland (1991-95), Italien (1990-95) und Spanien (1977-85) ist das der Fall. Auch die extrem kostspielige Abwicklung der französischen Großbank Crédit Lyonnais 1994/95 ist noch in Erinnerung.Würden sich die Euro-Staaten im Rahmen einer europäischen Einlagenrückversicherung auf annähernd risikogerechte Beitragssätze für die einzelnen Länder einigen? Auch der idealistischste Versicherungstheoretiker wird einräumen müssen, dass damit nicht zu rechnen ist. Entweder es kommt zu einem faulen Kompromiss, der die Anreize massiv verzerrt, oder man geht im Streit auseinander, was nicht der Völkerverständigung dient. Sollte man deshalb nicht von vorneherein von dem Projekt Abstand nehmen?Die Rückversicherung wirft aber noch ein weiteres Problem auf, das nicht politisch, sondern versicherungstheoretisch bedingt ist. Die Einlagensicherung ist für systemische Schocks gedacht. Sie soll Bank Runs verhindern, die eine allgemeine Finanzkrise auslösen würden. Paradebeispiel ist ein Finanzmarktschock, der von außen – zum Beispiel wie 1929-33 und 2007/08 aus den USA – kommt.Auch ein negativer geldpolitischer Schock von Seiten der EZB käme theoretisch in Frage. In diesen Fällen sind alle Euro-Staaten betroffen, und es genügt, dass alle über hinreichende nationale Einlagensicherungen verfügen. Das ist durch die EU-Richtlinie von 2014 sichergestellt.Eine europäische Einlagenrückversicherung würde dagegen dann zum Zuge kommen, wenn der Schock asymmetrisch ist, das heißt im einfachsten Fall nur einen Euro-Staat trifft. Dann ist der Schock aber typischerweise nicht systemisch. Es bedarf also keiner Rückversicherung.Schließlich wird im Versicherungsmodell unterstellt, dass die Schocks zufällig sind – zum Beispiel eine schlechte Ernte oder eine Überschwemmung. Asymmetrische Bankenkrisen sind aber in der Regel hausgemacht. Sie beruhen zumeist auf einer leichtsinnigen Geschäftspolitik der Banken oder einer dilatorisch operierenden Bankenaufsicht oder einer falschen Wirtschaftspolitik oder einem krassen Fehlverhalten der Tarifpartner.In allen diesen Fällen wäre es eindeutig ineffizient, die soliden Banken der anderen siebzehn Euro-Staaten zur Kasse zu bitten. Sie trifft keine Verantwortung.Der Wettbewerb zwischen den Banken würde verzerrt. Haften sollten diejenigen, die die Bankenkrise verursacht haben. Dieser Grundsatz spricht erst recht gegen die ursprünglich vorgeschlagene Einlagensicherung der Euro-Staaten. 154 Wirtschaftsprofessoren haben davor gewarnt. Roland Vaubel ist em. Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——Roland Vaubel”Asymmetrische Bankenkrisen sind (…) in der Regel hausgemacht.”——