Drei verlorene Jahre
Von Andreas Hippin, LondonIhre Abschiedsrede hat die britische Premierministerin Theresa May schon in der vergangenen Woche in der Denkfabrik Chatham House gehalten. Heute wird sie nach drei Jahren an der Spitze der Regierung ihre letzte Fragestunde im Parlament absolvieren und die Queen ein letztes Mal in dieser Funktion besuchen. Mays Amtszeit war so kurz, dass die Memoiren ihres Vorgängers David Cameron an ihrem Ende noch nicht erschienen sind. Der offenbar unter Themennot leidende “Guardian” hob ihre Abschiedsrede vergangenen Donnerstag auf die Titelseite, vermutlich weil ihre Attacken auf “Brexit-Absolutisten” den Blattmachern gefielen. Die unfreiwillige Ironie vieler Passagen der Ansprache fiel ihnen vermutlich nicht auf. Ansonsten fand May keine große Aufmerksamkeit.Um seine Ziele zu erreichen, brauche man Kompromissbereitschaft, Überzeugungskraft, Teamgeist und den Willen, Zugeständnisse zu machen, sagte die ehemalige Innenministerin und listete dabei all die Eigenschaften auf, die ihr im EU-Austrittsprozess ganz offenkundig fehlten. Für gewöhnlich geht es in solchen Abschiedsreden um das, was man während seiner Amtszeit gelernt hat, die Dinge, die man vielleicht anders machen würde, und die Punkte, die man seinem Nachfolger mit auf den Weg geben würde. May schloss bei ihrer Rede zwar nicht direkt an ihr Selbstmitleid bei der Ankündigung ihres Rücktritts vor 10 Downing Street an. Dafür ging es darum, was andere falschmachen oder falschgemacht haben. Der konservative “Spectator” fasste das Gesagte so zusammen: Macht was ich sage, nicht was ich tue. Vermintes GeländeDie Satirezeitschrift “Private Eye” brachte es so auf den Punkt: Auf ihrem ansonsten leeren Titelblatt prangte die Schlagzeile “Mays politische Hinterlassenschaft”. Allerdings legte sie im verzweifelten Bemühen, doch noch irgendein politisches Erbe zu hinterlassen, noch ein paar Minen, die ihrem Nachfolger das Regieren erschweren dürften. Dazu gehört neben einer kräftigen Gehaltserhöhung für den öffentlichen Dienst und hohen Investitionen in das Bildungssystem auch das ohne große Debatte verabschiedete Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, das die Mehrheit der Briten teuer zu stehen käme, würde ihr Nachfolger daran festhalten. Man muss ihr zugutehalten, dass das bestimmende Thema ihrer Amtszeit, der EU-Austritt, durch ihren Vorgänger vorgegeben wurde. Allerdings nahm ihr das nicht jede Gestaltungsmöglichkeit. Statt das Thema Brexit positiv zu wenden, ließ sie die Verwaltung einen Deal mit Brüssel aushandeln, in dem es einzig um Schadensbegrenzung ging, und scheiterte damit am Parlament. May erwies sich dabei als beratungsresistent. Entscheidungen wurden im kleinsten Kreis gefällt, auch hinter dem Rücken ihrer Minister. Sie hätte eigene Themen setzen können, etwa eine Reform der Pflege. Sie tat es nicht.Die Tochter eines anglikanischen Vikars aus Eastbourne arbeitete vor ihrem Einstieg als Berufspolitikerin für die Bank of England und die Association for Payment Clearing Services, einen Verband von Zahlungsabwicklern. In den Jahren von 1999 bis 2010 hatte sie eine Reihe von Posten in den “Schattenkabinetten” der damals oppositionellen Konservativen inne. Sie war die erste Frau an der Spitze der Konservativen und fungierte zwischen 2010 und 2012 nicht nur als Innen-, sondern auch als Frauen- und Gleichstellungsministerin. Ihrem Vorgänger Cameron stand sie nie besonders nahe. Sein ehemaliger Stellvertreter, der Facebook-Pressesprecher Nick Clegg, nannte May die “Eiskönigin”.