NOTIERT IN SCHANGHAI

Ein heißer Bildungssommer

Die Suche nach einer sinnvollen Sommerbeschäftigung für den Nachwuchs ist ein Thema, das chinesische Tigermütter in diesem Jahr besonders umtreibt. In den Sommermonaten, wenn Schulen und Universitäten geschlossen haben, sollen die lieben Kleinen und...

Ein heißer Bildungssommer

Die Suche nach einer sinnvollen Sommerbeschäftigung für den Nachwuchs ist ein Thema, das chinesische Tigermütter in diesem Jahr besonders umtreibt. In den Sommermonaten, wenn Schulen und Universitäten geschlossen haben, sollen die lieben Kleinen und nicht mehr ganz so Kleinen sich einerseits natürlich erholen, andererseits aber bloß nicht im Lernfleiß und der persönlichen Weiterbildung nachlassen. Fitmachen für den September heißt die Devise, wenn es im hochkompetitiven Bildungswesen wieder richtig losgeht.In Chinas aufstrebender Mittelschicht kennt man bekanntlich keine pekuniären Schmerzen, wenn es darum geht, für das in der Regel einzige Kind alles Erdenkbare an Erziehungsleistungen zu erbringen. Es gibt zwar Anzeichen, dass die Konsumneigung im Zuge des Handelsstreits mit den USA etwas erschlafft ist, aber wenn Mittelstandsfamilien beim Autokauf oder dem Erwerb neuer Haushaltseinrichtungen etwas zögerlicher wirken, heißt das noch lange nicht, dass sie auch das Erziehungsbudget straffen. Ganz im Gegenteil ist man im Zweifel sogar bereit die neue Frugalität im Alltagskonsum erst recht zum Anlass zu nehmen, um wenigstens an der Erziehungsfront über die schwülen Sommermonate hinweg richtig zu klotzen. *Auch in diesem Jahr haben die sogenannten Sommercamps wieder Hochkonjunktur. Wer dabei an Abenteuerferien mit Pfadfinderspielen und jede Menge Kontakt zur Natur und sportlichen Aktivitäten im Freien denkt, liegt allerdings eher falsch. In Schanghai etwa gibt es unzählige Angebote von hochprofessionellen bis windigen Veranstaltern für eine zielgerichtete Sommerfrische, die sich allerdings meist nur mit einem Aufenthalt in stickigen Lernsälen verbindet. Während man in Europa nur Sitzenbleibern und totalen schulischen Nachzüglern ein Sommerprogramm mit Sonderunterricht in Mathematik, Wissenschaften oder Sprachen antun würde, ist dies in China gang und gäbe, um auch die Topschüler in Form zu halten. Nichts fördert das gute Elterngewissen mehr, als alles getan zu haben, um den Zöglingen in der knapp bemessenen Ferienzeit hochpreisige Weiterbildungschancen zu gönnen, anstatt sie in der klimatisierten Großstadtwohnung zu vertrödeln.Die gängigen Kosten für die sommerlichen Leistungskurse liegen je nach Intensität zwischen 10 000 und 20 000 Yuan (rund 1 300 Euro, damit wird immerhin ein durchschnittliches Monatsgehalt für White-Collar-Jobs in Chinas Großstädten verfrühstückt. In betuchteren und meist dann auch relativ kosmopolitischen Kreisen wiederum begnügt man sich nicht mit der Paukerei vor Ort, sondern versucht dem älteren Nachwuchs mit internationaler Atmosphäre und einem Hauch von Ferientouch zur Horizonterweiterung zu gereichen.Straff organisierte Übersee-Studientrips für die Sommerzeit sind der Renner, auch wenn diese erst ab etwa 50 000 Yuan zu haben sind. Dabei werden bevorzugt angelsächsische Destinationen angesteuert, mit denen man sich gleich den Aufwand für die heimischen Englischkurse spart. Allerdings werfen der Handelsstreit sowie heftige bilaterale Spannungen zwischen China und Kanada einen großen Schatten auf die bislang besonders hoch im Kurs stehenden Nordamerikatrips. Dabei sind es nicht nur die tatsächlich merklich erschwerten Visumvergabeprozeduren bei Einreisen in die USA, die Sand ins Getriebe streuen.Die notorisch ängstliche Elternschaft thematisiert immer mehr Sicherheitsfragen und fürchtet, dass ihre Sprösslinge angesichts der diplomatischen Spannungen und atmosphärischen Eintrübungen allen möglichen kulturellen Anfeindungen oder gar körperlichen Übergriffen ausgesetzt sein könnten. Abgesehen davon wachsen die Zweifel, ob man die über Jahre mit viel Geld aufgepäppelten Bildungsgenies bei all den neuen Hindernissen dann später auch wirklich an einer hochrangigen nordamerikanischen Universität unterkriegt und den Tigermuttertraum par excellence verwirklichen kann. Bei den immer chinaskeptischeren Visums- und Sicherheitsbehörden in den USA werden die sozialen Aufsteiger mit Drang zu US-Bildungsstätten nämlich eher als allzu wissenshungrige Spione in spe eingestuft.