Bundestagswahl 2021

„Eine Erosion des Kompetenzprofils“

Am Tag nach der Bundestagswahl haben neben den Parteien auch die führenden Meinungsforschungsinstitute ihre ersten Analysen der Wahlergebnisse vorgestellt. Mit der Qualität ihrer Umfragen zeigt sich die Wissenschaft zufrieden.

„Eine Erosion des Kompetenzprofils“

sp Berlin

Am Tag nach der Bundestagswahl haben neben den Parteien auch die führenden Meinungsforschungsinstitute ihre ersten Analysen der Wahlergebnisse vorgestellt. Mit der Qualität ihrer Umfragen vor der Wahl zeigten sich die Demoskopen genauso zufrieden wie mit den Hochrechnungen und Prognosen am Wahlabend, nachdem es zuletzt etwa nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Kritik an einzelnen Meinungsforschungsinstituten gegeben hatte. Auch aus der Wissenschaft kam am Montag Lob für die Umfragen der Demoskopen kurz vor der Wahl.

Rote Karte für Armin Laschet

Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen (FGW) widmete sich in seiner Wahlanalyse vor allem dem Ergebnis der Union, dem er „sowohl wahlsoziologisch als auch insgesamt“ die größte Bedeutung zumisst. Wie schon 1998 hätten vor allem ältere Wählerinnen und Wähler der Union „die rote Karte“ gezeigt – dieses Mal allerdings nicht einem langgedienten Bundeskanzler wie Helmut Kohl, sondern Armin Laschet als Spitzenkandidat.

Neben der Entscheidung für den Spitzenkandidaten habe die Union in den vergangenen Jahren auch den Fehler gemacht, der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel Fehler zuzuschreiben und sie aus dem Amt des Parteivorsitzes zu drängen mit der „Illusion auf bessere Ergebnisse“. Das habe in der Folge dazu geführt, dass die CDU mit Annegret Kramp-Karrenbauer erst eine weitere Parteichefin verschlissen habe, ihren Nachfolger Armin Laschet zu spät als Kanzlerkandidaten nominiert habe und der sich zu lange in parteiinternen Kämpfen verausgaben musste, statt sich auf den Wahlkampf konzentrieren zu können. Letztlich habe das dem SPD-Spitzenkandidaten Olaf Scholz erst die Möglichkeit eröffnet, den Eindruck zu erwecken, die bessere Wahl für eine erfolgreiche Fortsetzung der Ära Merkel zu sein.

Allensbach-Chefin Renate Köcher konzentrierte sich in ihrer Wahlanalyse auf das am Ende enttäuschende Ergebnis der Grünen. Der Anteil der Bevölkerung, der von den Grünen Nachteile erwartete, sei im Parteienvergleich besonders hoch gewesen. Das hätten Abfragen zu negativen und positiven Erwartungen an die Parteien in den Wochen vor der Wahl ergeben. Diese Angst vor Nachteilen habe dazu geführt, dass viele potenzielle Grünen-Wähler noch abgesprungen seien.

Geschadet habe der grünen Partei außerdem, dass kurz vor der Wahl über ein Dreierbündnis unter Beteiligung der Linkspartei spekuliert worden sei, erklärte die Meinungsforscherin weiter. „Rot-Rot-Grün“ sei eine Koalition, von der „mit am meisten in der Bevölkerung erwartet wurde, dass sie Deutschland schaden könnte“, sagte Köcher. Insgesamt würden Dreierbündnisse die Bevölkerung mit weniger Vertrauen erfüllen als die bislang bekannten Zweierbündnisse. In Erhebungen habe sich gezeigt, dass knapp zwei Drittel der Wähler davon überzeugt seien, dass eine solche Koalition „eher Probleme hätte, effizient zusammenzuarbeiten“, sagte Köcher. Deshalb sei es weder für ein mögliches Jamaika-Bündnis von FDP, Union und Grünen noch für eine SPD-geführte Ampel-Koalition eine Ausgangslage, die mit großem Vertrauen in der Bevölkerung einhergehen würde. „Die Bürger trauern ein bisschen den Zweierkoalitionen nach, weil sie zu­nächst einmal überzeugt sind, dass da die Spannungen am geringsten sind.“

Nico Siegel, Geschäftsführer von Infratest Dimap, wandte sich wieder dem großen Wahlverlierer zu und attestierte der Union „eine Erosion des Kompetenzprofils über sämtliche Politikbereiche“. Der Spitzenkandidat habe zu keinem Zeitpunkt die Mehrheit der Wähler von seiner Tauglichkeit für das Kanzleramt überzeugt. „Das kam unmittelbar vor der Wahl und auch in der Nachwahlbefragung deutlich zum Ausdruck“, sagte Siegel, der außerdem eine Prognose für die Koalitionsverhandlungen wagte. Es werde schwierig, vor Weihnachten eine Regierung zustande zu bringen, sagte er.

Peter Matuschek, Leiter der Politik- und Sozialforschung von Forsa, machte in seiner Analyse darauf aufmerksam, dass keine der Parteien mehr Stimmen auf sich vereinen konnte als das Lager der Nichtwähler.

Köcher regte bei ihrer Nachbetrachtung zur Wahl auch eine Diskussion über die Briefwahl an. Die Demoskopin verwies auf den „einmaligen“ Anstieg der Wähler, die im Voraus per Briefwahl abstimmten. Dadurch entstehe ein „unterschiedlicher Bezugsrahmen und Zeitraum“ zwischen denjenigen, die vorab ihr Votum träfen, und denjenigen, die das vor Ort an der Wahlurne täten. So sei es möglicherweise schwieriger, die Vorstellung von einer freien, geheimen Wahl zu Hause einzuhalten. Wegen der Coronakrise hat sich der Anteil der Briefwähler im Vergleich zur Bundestagswahl vor vier Jahren auf mehr als 40% verdoppelt.

Anteil der Briefwähler steigt

Auch vor dem Hintergrund des gestiegenen Briefwähler-Anteils gab es am Montag Lob aus der Wissenschaft für die führenden Demoskopen. „Die Institute waren dieses Mal bemerkenswert gut. Vor allem auch in Anbetracht der schwierigen Situation mit dem hohen Briefwähler-Anteil“, sagte Rüdiger Schmitt-Beck von der Universität Mannheim der Deutschen Presse-Agentur. „Die guten Institute halten ihren Stand und schaffen es, den Widrigkeiten zum Trotz gute Arbeit abzuliefern“, sagte der Sozialwissenschaftler. Dies gelte auch für die entscheidende Frage, wer vorne liegt. „Die Umfragen haben suggeriert: Die SPD liegt vorne. Und das ist eingetreten.“

Grundsätzlich spiegeln Wahlumfragen nur das Meinungsbild zum Zeitpunkt der Befragung wider und sind keine Prognosen auf den Wahlausgang, wie Jung am Montag betonte. Diesen Punkt wolle er gerade auch an einem Tag betonen, an dem es keine Kritik an Demoskopen gebe.