Im InterviewMonika Schnitzer

„Eine Rezession im Euroraum zeichnet sich nicht unmittelbar ab“

Der Ausgang der wegweisenden EZB-Zinssitzung am Donnerstag ist völlig offen. Die Börsen-Zeitung hat mit Monika Schnitzer, Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, über Teuerung, Bilanzabbau und Inflationsziele gesprochen.

„Eine Rezession im Euroraum zeichnet sich nicht unmittelbar ab“

Muss die EZB ihre Leitzinsen weiter anheben, und wenn ja, bereits jetzt am Donnerstag, oder hat sie bereits genug getan?

Wenn wir uns anschauen, von welchem Niveau die Inflation gekommen ist, 10% im Herbst vergangenen Jahres, dann hat sie sich mittlerweile ungefähr halbiert. Dies ist auch ein Ergebnis der Zinspolitik der EZB und im Sinne des 2-Prozent-Ziels begrüßenswert. Trotzdem ist die Inflation immer noch zu hoch. Angesichts der jüngst etwas abflauenden wirtschaftlichen Dynamik erscheint in der aktuellen Situation eine moderate Zinsanhebung von 25 Basispunkten vertretbar.

Wie sollte die EZB reagieren, falls die Eurozone nun in eine Rezession rutscht, während die Inflation immer noch deutlich zu hoch liegt?

Wir beobachten sehr unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen im Euroraum, mit Gewinnern und Verlierern, die sich aktuell im Mittel in etwa die Waage halten. Eine Rezession im Euroraum insgesamt zeichnet sich insofern nicht unmittelbar ab. Ich sehe deshalb aktuell keinen allzu hohen Druck, von den bisherigen Entscheidungen der EZB abzuweichen. Gleichzeitig gibt es auf der Zinsseite genug Spielraum, um im hypothetischen Fall einer stärkeren Rezession steuernd eingreifen zu können.

Parallel zu den Zinserhöhungen reduziert die EZB ihre aufgeblähte Bilanz. Braucht es dabei mehr Tempo oder ist das aktuelle Vorgehen angemessen – oder aktuell sogar zu viel?

Die Märkte haben auf die bisherige Reduktion der Bilanz vergleichsweise moderat reagiert und es kam zu keinen besonderen Verwerfungen. Insofern agiert die EZB im Rahmen der Erwartungen und vertrauensbildend. Ich sehe keinen Anlass für eine Kursänderung.

Wie schätzen Sie den mittel- und langfristigen Inflationstrend im Euroraum ein? Droht strukturell eine höhere Inflation oder eine Rückkehr zur Disinflation wie vor der Pandemie?

Der Rückgang von einer zweistelligen Inflation hin zum 2-Prozent-Ziel geht nicht von heute auf morgen. Das dauert Jahre, so kommuniziert es auch die EZB. Die Abwärtsdynamik wird unter anderem durch nach wie vor steigende Preise bei Nahrungsmitteln und höhere Lohnabschlüsse gedämpft. Wir werden noch einige Zeit höhere Inflationsraten sehen, eine Disinflation erscheint auf absehbare Zeit wenig wahrscheinlich. Die strukturelle Entwicklung der Inflation ist angesichts der vielen Sondereffekte der vergangenen Jahre schwierig abzuschätzen.

Sollte die EZB perspektivisch ihr Inflationsziel von 2,0% anheben oder zumindest eine Art Toleranzband einführen?

In der Vergangenheit ist die EZB mit dem 2-Prozent-Ziel gut gefahren. Auch die aktuellen Umstände geben wenig Veranlassung, von dieser Zielstellung abzuweichen, wenn sich nichts Fundamentales ändert bzw. solange alle anderen großen Akteure am Markt ihr Verhalten beibehalten. Das formulierte Ziel ist ja nicht, eine Punktlandung auf 2% zu verwirklichen; vielmehr werden 2% Inflation im Durchschnitt angestrebt.

Die Fragen stellte Mark Schrörs