PERSONEN

Ermittlungsverfahren gegen 98 brasilianische Politiker eingeleitet

Von Andreas Fink, Buenos Aires Börsen-Zeitung, 13.4.2017 Als vor etwa einem Jahr die Führung des brasilianischen Bauriesen Odebrecht verkündete, künftig ohne Vorbehalte mit den Justizbehörden zusammenzuarbeiten, war klar: Der Hauptstadt droht ein...

Ermittlungsverfahren gegen 98 brasilianische Politiker eingeleitet

Von Andreas Fink, Buenos AiresAls vor etwa einem Jahr die Führung des brasilianischen Bauriesen Odebrecht verkündete, künftig ohne Vorbehalte mit den Justizbehörden zusammenzuarbeiten, war klar: Der Hauptstadt droht ein politisches Erdbeben. Nach einer Serie von Vorbeben kam nun ein wahrhaft heftiger Stoß: Edson Fachin, der am obersten Bundesgericht zuständige Berichterstatter für die Mega-Causa Petrobras, leitete Ermittlungsverfahren gegen 98 Politiker ein. Damit kommt er in weiten Zügen dem Antrag des Generalstaatsanwaltes Rodrigo Janot nach, der das Verhalten von 108 Personen ausgeforscht haben wollte. Nach brasilianischem Recht darf allein die oberste Gerichtsbarkeit des Landes gegen Parlamentarier und Regierungsmitglieder ermitteln.Richter Fachins Liste umfasst die Namen von acht amtierenden Ministern, drei Gouverneuren, 24 Senatoren und 39 Abgeordneten. Darunter sind auch die Präsidenten beider Parlamentskammern sowie die Chefs der Großparteien PMDB und PSDB, die das Rückgrat der Regierungskoalition bilden. Nicht ermittelt wird gegen Präsident Michel Temer. Aber das liegt keineswegs daran, dass gegen den früheren Vizepräsidenten nichts vorläge. Tatsächlich haben mehrere hochrangige Odebrecht-Manager, darunter der frühere Firmenchef Marcelo Odebrecht, ausgesagt, Temer habe für den Wahlkampf 2014 umgerechnet etwa 3 Mill. Euro erbeten und erhalten. Weil sich diese Vorgänge jedoch vor der aktuellen Amtszeit abspielten, genießt Temer den Schutz der Verfassung. Diese erlaubt Strafermittlungen gegen Staatsoberhäupter nur dann, wenn das inkriminierte Verhalten im Regierungszeitraum liegt. Ebenso beinhaltet die Liste nicht die Namen der ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff, denn diese fallen nach dem Verlust ihrer Immunität nicht mehr in den Verantwortungsbereich des Höchsten Gerichts. Allerdings rechnen Brasiliens Medien mit Anklagen gegen beide infolge der Odebrecht-Offenbarung.Der Aufklärungswille der obersten Richter dürfte die ohnehin schwierige Arbeit von Temer weiter belasten. Trotz extrem niedriger Zustimmungswerte im Volk hat sich der 76-jährige Polit-Veteran zum Ziel gesetzt, Brasilien mit einer Rosskur wieder auf den Wachstumspfad zu bringen. 2016 setzte er eine Verfassungsergänzung durch, die eine Steigerung der Haushaltsausgaben für 20 Jahre untersagt. Und bald will Temer mit seinen Mehrheiten in beiden Kammern eine Pensionsreform durchbringen, die ein Mindestrenteneintrittsalter von 65 Jahren festlegt. Bislang gehen viele mit Ende vierzig in Pension. Während der Rezession in den vergangenen Jahren führten die Zahlungsverpflichtungen aus den Pensionskassen zu einem Budgetdefizit von 10 %.Weil der Odebrecht-Konzern über seine separierte Schmiergeld-Abteilung Zuwendungen an Vertreter des gesamten politischen Spektrums verteilte, erstaunt es nicht, dass die nun eingeleiteten Ermittlungen ebenso Kommunisten betreffen wie Konservative. Die drei am häufigsten vertretenen Gruppierungen sind Temers PMDB, die konservative PSDB und die im vorigen Mai entmachtete Arbeiterpartei PT. Zu den prominentesten Verdächtigen gehören Temers Intimus und aktueller Kabinettschef Eliseu Padilha, der aktuelle Außenminister Aloysio Nunes und dessen Vorgänger José Serra sowie PSDB-Führer und Senator Aécio Neves, der 2014 im Präsidentschaftsrennen nur knapp Dilma Rousseff unterlag. Wahlwiederholung drohtDie Umstände dieses Wahlsieges beschäftigen zudem ein weiteres Gericht: Der oberste Wahlrat untersucht die Finanzierung der Kampagne 2014. Im Februar lud er den Ex-CEO Marcelo Odebrecht als Zeugen vor, der, so Medienberichte, offenbarte, Millionensummen über dunkle Kanäle in die Wahlkampfkassen geleitet zu haben. Darum könnte der Wahlrat die gesamte Wahl 2014 für ungültig erklären, was wiederum die Amtszeit des vom Vize zum Chef aufgerückten Temer beenden und Neuwahlen erforderlich machen würde. Brasiliens wirtschaftliche Wiederkehr könnte erneut durch politische Unsicherheit aufgehalten werden.