NOTIERT IN STUTTGART

Esslingen ist das neue Stuttgart

Dass das Bahnprojekt Stuttgart 21 mit derzeit freigegebenen 8,2 Mrd. Euro doppelt so teuer wird wie geplant und die ursprüngliche Bauzeit um bis zu vier Jahre überschritten wird, gilt als sicher. Nach Recherchen des SWR wird der künftige...

Esslingen ist das neue Stuttgart

Dass das Bahnprojekt Stuttgart 21 mit derzeit freigegebenen 8,2 Mrd. Euro doppelt so teuer wird wie geplant und die ursprüngliche Bauzeit um bis zu vier Jahre überschritten wird, gilt als sicher. Nach Recherchen des SWR wird der künftige unterirdische Durchgangsbahnhof darüber hinaus allerdings auch nicht in der Lage sein, den geplanten Deutschlandtakt einzuhalten. Durch dieses Vorhaben soll auf den wichtigsten Strecken zwischen Großstädten alle 30 Minuten eine Zugverbindung entstehen. Es ist ein Versuch der Bundesregierung, aus Klimaschutzgründen mehr Menschen auf die Schiene zu bringen. Bis 2030 soll die Zahl der Bahnfahrgäste verdoppelt werden. Vom Stuttgarter Bahnhof aus aber werden wegen seiner künftig nur acht (statt der bisherigen 17) Gleise einige Städte nicht in diesem geplanten Halbstundentakt erreichbar sein, berichtete der SWR und berief sich dabei auf die vom Schweizer Unternehmen SMA erstellten Zielfahrpläne. Bei den Städten handelt es sich unter anderem um Darmstadt, Heidelberg, Mainz, Nürnberg und Zürich. Auch von Tübingen nach Mannheim brauchen die Züge demnach künftig 10 Minuten länger als bislang, da sich die Wartezeit beim Umstieg in Stuttgart mehr als verdoppelt. All diese Verbindungen sind stark frequentiert und werden von Pendlern wie Ausflüglern genutzt.Bei der Bahn und in Teilen der Politik will man von derartigen Problemen aber weiterhin lieber nichts wissen. Während Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in der Resignation angekommen scheint (“Die Landesregierung macht da nicht mehr dran herum. Der Käs ist gegessen”, sagte er zu dem Bericht), geht das Bundesverkehrsministerium weiter davon aus, dass die Bahn die Dinge im Griff habe. Die Bahn-Experten hätten das “alles genau geprüft, und das wird funktionieren”, erklärte etwa Staatssekretär Steffen Bilger (CDU). Der Konzernbevollmächtigte der Bahn für Baden-Württemberg, Thorsten Krenz, schickte ein mehrseitiges Schreiben an Bundes- und Landtagsabgeordnete, Landräte und Oberbürgermeister, in dem er wenig souverän von “einseitigen, hochselektiven und teils schlicht falschen Behauptungen” sprach. Nun hat die Bahn bisher jede neue Zahl zu längeren Bauzeiten, steigenden Kosten sowie Kritik an der Qualität der Planung und Umsetzung des Projekts zurückgewiesen. Und zwar immer so lange, bis die Zahlen offiziell bestätigt wurden.Gut, dass das alles für die Stuttgarter keinerlei Umgewöhnung zum Zustand des Fern- und Nahverkehrs seit Baubeginn vor neun Jahren darstellen wird. Ausfallende Züge und S-Bahnen sowie lange Warte- und Umstiegszeiten sind seit 2010 mehr Regel als Ausnahme. Im Juli etwa werden sich durch vorübergehende Gleissperrungen am Bahnhof Stuttgart-Feuerbach nicht nur zahlreiche Pendler und Schüler ganz neue Wege zu Arbeit oder Schule suchen müssen. Es werden auch einige Fernverkehrszüge im rund 20 Kilometer entfernten Esslingen statt in Stuttgart abfahren. Das gilt zumindest für jene ICE- oder TGV-Verbindungen, die in der Zeit nicht komplett ausfallen.