Rechtsstreit

EU-Verfahren gegen Berlin wegen EZB-Urteil

Im Streit über das EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020 wird die EU-Kommission aller Voraussicht nach ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten. Das bestätigten EU-Kreise der Börsen-Zeitung. Zuerst hatte die...

EU-Verfahren gegen Berlin wegen EZB-Urteil

ms/ahe Frankfurt/Brüssel

Im Streit über das EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020 wird die EU-Kommission aller Voraussicht nach ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten. Das bestätigten EU-Kreise der Börsen-Zeitung. Zuerst hatte die Nachrichtenagentur dpa über die Pläne Brüssels berichtet. Bereits am heutigen Mittwoch dürften entsprechende Schritte unternommen werden. Im schlimmsten Fall drohen Deutschland empfindliche finanzielle Sanktionen. Ob es aber tatsächlich so weit kommt, ist unklar.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai 2020 das EZB-Staatsanleihekaufprogramm PSPP (Public Sector Purchase Programme) als zum Teil nicht konform mit dem Grundgesetz bezeichnet und sich damit auch erstmals offen gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestellt. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe die Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend überprüft und nachgewiesen. Nach langem Ringen wurde dann eine Einigung gefunden. Ihre Kritik am EuGH und dem PSPP-Urteil des Gerichtshofs von Ende 2018 hatten die Karlsruher Richter aber nicht zurückgenommen.

Die EU-Kommission hatte bereits kurz nach dem Richterspruch ein Verfahren gegen Deutschland nicht ausgeschlossen. Sie befürchtet insbesondere, dass das Vorgehen zum Präzedenzfall für andere Länder werden könnte, besonders für Länder, in denen das Rechtsstaatsprinzip ohnehin bereits geschwächt sei. Brüssel hat dabei vor allem Ungarn und Polen im Blick. „Ich nehme diese Sache sehr ernst“, hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Mai 2020 gesagt. Sie argumentierte, dass es drei Grundprinzipien gebe: Die Währungspolitik sei allein Sache der EU, EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht, und EuGH-Urteile seien für nationale Gerichte bindend: „Das letzte Wort zu EU-Recht wird immer in Luxemburg gesprochen. Nirgendwo sonst.“

Nach dem offiziellen Start eines Vertragsverletzungsverfahrens hat Deutschland zunächst einige Monate Zeit, schriftlich auf die Bedenken der EU-Kommission, die für die Einhaltung von EU-Recht zuständig ist, zu reagieren. Sollten die Sorgen der Behörde im Laufe des Verfahrens nicht ausgeräumt werden, könnte sie Deutschland vor dem EuGH verklagen. Am Ende könnte die Kommission dem Gerichtshof die Verhängung finanzieller Sanktionen vorschlagen. Einige Beobachter zweifelten aber am Dienstag an, dass es so weit kommen werde.

Das mögliche Verfahren stieß am Dienstag auf sehr gemischte Reaktionen. Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold sagte, es gehe darum, „die europäische Rechtsgemeinschaft zu sichern“. Er warnte vor einem rechtlichen „Flickenteppich“. Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber kritisierte dagegen das Vorhaben. Bundesregierung und Bundestag hätten sich „bemüht, ein schwieriges Urteil des Bundesverfassungsgerichts klug umzusetzen“. Es gebe keinen Grund für Prinzipienreiterei.