Euro-Inflation sinkt und befeuert EZB-Debatte
Sinkende Inflation befeuert EZB-Debatte
Teuerung im Euroraum sinkt auf 6,1 Prozent – Kerninflation gibt überraschend deutlich nach – Arbeitskosten steigen
ms Frankfurt
Die Teuerungsrate in der Eurozone sinkt auf den niedrigsten Stand seit Februar 2022 und auch die Kerninflation geht zurück. Dies schürt vereinzelt Erwartungen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Zinszyklus früher als zuletzt gedacht beenden könnte. EZB-Präsidentin Christine Lagarde dämpft diese Hoffnungen.
Die Inflation im Euroraum ist im Mai noch stärker als ohnehin erwartet zurückgegangen und auf den niedrigsten Stand seit Februar 2022 gesunken – auf 6,1%, nach zuvor 7,0%. Zugleich gab auch die aktuell stark im Fokus stehende Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) deutlicher nach als erwartet – von 5,6% auf 5,3%. Das befeuerte die Debatte über den weiteren Zinskurs der Europäischen Zentralbank (EZB) und schürte vereinzelt Erwartungen, dass der Zinszyklus früher zu Ende gehen könnte als zuletzt gedacht. EZB-Präsidentin Christine Lagarde zeigte sich aber vorerst unbeeindruckt und untermauerte die Handlungsbereitschaft der EZB.
Die Inflation im Euroraum war 2022 bis auf den Rekordwert von 10,6% hochgeschnellt – worauf die EZB mit beispiellosen Zinserhöhungen reagiert hat. Seit Juli vergangenen Jahres hat sie ihre Leitzinsen um 375 Basispunkte erhöht – so aggressiv wie nie. Jetzt ist der weitere Kurs aber zunehmend unklar und umstritten: Die Hardliner im EZB-Rat („Falken“) pochen auf weitere Zinsschritte wegen der zu hohen Inflation. Die „Tauben“ mahnen zur Vorsicht, zumal sich die Euro-Wirtschaft bereits deutlich abschwächt und Zinserhöhungen mit Verzug voll wirken.

Die mit Spannung erwarteten Inflationszahlen für Mai spielen nun vordergründig eher den „Tauben“ in die Hände. Zum einen fiel der Rückgang stärker aus als erwartet. Volkswirte hatten im Mittel einen Rückgang auf 6,3% vorausgesagt. Zum anderen gab die Kernrate erstmals deutlich und stärker als erwartet nach. Ökonomen hatten mit 5,5% gerechnet.
Die Energiepreise, die noch im vergangenen Jahr maßgeblich für den massiven Inflationsschub verantwortlich waren, gingen im Mai binnen Jahresfrist um 1,7% zurück, nach einem Anstieg von 2,4% im April. Weiterhin kräftig blieb der Preisauftrieb bei Lebensmitteln und Genussmitteln, auch wenn er im Mai etwas nachließ. Die Preise für Lebensmittel, Alkohol und Tabak zogen um 12,5% an – nach einem Plus von 13,5% im April. Industriegüter ohne Energie verteuerten sich um 5,8% nach zuvor 6,2%. Die Preise für Dienstleistungen erhöhten sich im Mai um 5,0% nach 5,2% im April.
„Die wirklich gute Nachricht ist, dass die Kerninflation ohne Energie-, Nahrungs- und Genussmittel zum ersten Mal seit langem deutlich gefallen ist, wobei der Rückgang schätzungsweise nur zu einem Drittel auf das ‚Deutschland-Ticket‘ zurückgeht“, sagte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Die Kernrate gilt als guter Indikator für den Inflationstrend. In den vergangenen Monaten hatten eine Reihe Notenbanker erklärt, dass die Zinserhöhungen weitergehen müssten, solange es keine Trendwende beim zugrunde liegenden Preisdruck gebe.
Allerdings sind die Mai-Zahlen auch kein Grund für Entwarnung: Einerseits liegen sowohl die Gesamt- als auch die Kernrate weiterhin deutlich oberhalb des mittelfristigen EZB-Ziels von 2,0%. Andererseits spricht der rasche Anstieg der Arbeitskosten tendenziell dagegen, dass es bei der Kernrate nun rasch wieder in Richtung 2% geht.
Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer erwartet, dass die EZB ihre Leitzinsen nur noch bei der kommenden Sitzung im Juni um 25 Basispunkte anheben wird. Die meisten Ökonomen und Marktakteure prognostizieren noch zwei Schritte im Juni und Juli. EZB-Präsidentin Lagarde betonte am Donnerstag die Entschlossenheit der EZB. „Wir wissen, dass – trotz unserer starken und raschen Zinserhöhungen – noch eine erhebliche Straffung der Geldpolitik ansteht.“