Tourismus

Europa sperrt auf

Vor allem die Südeuropäer setzen auf eine zügige Reanimation des Tourismus. Gelingt das nicht, droht sich das Nord-Süd-Gefälle in der EU zu verschärfen.

Europa sperrt auf

Von Stefan Reccius, Frankfurt

Den Ton in Sachen Tourismus setzte in der abgelaufenen Woche Mario Draghi: „Die Zeit ist gekommen, Ihren Urlaub in Italien zu buchen“, frohlockte Italiens Ministerpräsident am Rande des von der Regierung in Rom per Videokonferenz ausgerichteten Tourismusministertreffens der führenden Industrie- und Schwellenländer (G20). Draghi kündigte Berichten zufolge an, dass ab Mitte Mai ein spezieller Gesundheitspass für Touristen zur Verfügung stehen werde. Die klare Botschaft des Regierungschefs: Es kann wieder losgehen.

Muss es auch – nicht nur in Italien. Auch in Spanien, Portugal und Griechenland hängt die Hoffnung auf einen kräftigen Wiederaufschwung unmittelbar mit einer erfolgreichen Reanimation des wegen der Pandemie brachliegenden Tourismus zusammen. So schreibt Christoph Swonke, Ökonom der DZBank: „Die Erholung des Tourismus wird in Spanien 2021 für ein gesamtwirtschaftliches Plus von 5,9% und im kommenden Jahr von 6,5% sorgen.“ Das sind deutlich höhere Wachstumserwartungen als in Deutschland, wobei der wirtschaftliche Einbruch in Spanien 2020 deutlich heftiger ausfiel. Was im Umkehrschluss bedeutet: Sollte der Tourismus in der Sommersaison doch nicht wieder ins Rollen kommen – aufgrund neuer Virusmutationen, stockender Impfkampagnen oder Verzögerungen in den Vorbereitungen auf den Touristen-Ansturm etwa bei Testinfrastruktur oder Impfzertifikaten –, bekommen insbesondere die Südeuropäer neue Probleme. Das würde das ohnehin ausgeprägte Nord-Süd-Gefälle in Europa verschärfen – ein Szenario, das vor allem der Europäischen Zentralbank (EZB) Kopfschmerzen bereitet.

In Rom und anderen Hauptstädten arbeiten Regierungen und Behörden deshalb fieberhaft an den notwendigen Vorkehrungen. So priorisieren Italien und Griechenland Bewohner mancher Urlaubsinseln unabhängig vom Alter in den Impfkampagnen. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Ansa sind die Bevölkerungen auf größeren Inseln wie Capri und Ischia bereits zu weiten Teilen geimpft; nun folgen kleinere Inseln. In Italien hat das allerdings eine Neiddebatte zur Folge, denn Küstengebiete auf dem Festland beklagen Benachteiligungen. Die spanische Regierung hat dem Drängen Mallorcas für eine Vorzugsbehandlung bei Impfungen hingegen nicht nachgegeben und begründet das mit ethischen Vorbehalten. In Griechenland, das die Bundesregierung weiterhin als Risikogebiet einstuft, hat die Regierung in Athen die Bewohner Dutzender kleiner Inseln vorrangig geimpft. Kreta und andere große Inseln fallen hingegen nicht unter die Sonderregelung. Im Land darf die Gastronomie seit einigen Tagen für alle öffnen, Reisebeschränkungen im Land sollen Mitte Mai fallen. Griechenlands Premier Kryriakos Mitsotakis forderte bereits vor Monaten als einer der Ersten vollständige Reisefreiheit für Geimpfte in Europa.

Gewährleisten soll dies ein EU-weit gültiges grünes Coronazertifikat. Das Dokument, das es in digitaler und Papierform geben soll, wird den Plänen Brüssels zufolge Angaben zu Impfungen, Tests und vorherigen Corona-Infektionen enthalten. Ende April hat das Vorhaben das EU-Parlament passiert. Zur Freude der Tourismusbranche sollen für Inhaber des grünen Zertifikats in der gesamten EU Quarantäne- und Testpflichten entfallen. EU-Parlament, Ministerrat und Kommission wollen das Vorhaben bis Juni abschließen. Die aufgestaute Nachfrage scheint immens: Laut einer Erhebung der Tourismus-Dachorganisation European Travel Commission (ETC) ist mehr als die Hälfte der Europäer entschlossen, bis Ende August zu reisen.

Plänen der EU-Kommission zufolge sollen zudem bald Geimpfte aus aller Welt unabhängig von der Infektionslage in ihrem Heimatland in die EU einreisen dürfen. Es sei Zeit, den Tourismus wieder in Schwung zu bringen und grenzüberschreitende Freundschaften neu aufleben zu lassen, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Kurznachrichtendienst Twitter. Über die Vorschläge müssen die EU-Staaten beraten. ETC-Prognosen zufolge sind allerdings erst 2024 wieder so viele Reisende aus dem Ausland in der EU zu erwarten wie vor der Pandemie.

Umso mehr kommt es auf die Reiselust der Europäer an. Italiens Fahrplan ist klar: Der Start der Sommersaison ist für den 2. Juni geplant. Dann sollen Gäste in Lokalen wieder drinnen speisen und trinken dürfen.

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