NOTIERT IN LONDON

Freie Fahrt für freie Bürger!

"Keep Calm and Carry On" (Ruhe bewahren und weitermachen) ist das Motto aus dem Zweiten Weltkrieg, das in Großbritannien nach jedem Terroranschlag verbreitet wird. Auf T-Shirts und Teetassen ist es allenthalben zu haben. Es handelt sich aber eher um...

Freie Fahrt für freie Bürger!

“Keep Calm and Carry On” (Ruhe bewahren und weitermachen) ist das Motto aus dem Zweiten Weltkrieg, das in Großbritannien nach jedem Terroranschlag verbreitet wird. Auf T-Shirts und Teetassen ist es allenthalben zu haben. Es handelt sich aber eher um eine Aufforderung, das Geschehene zu verdrängen, als um einen Ausdruck trotzigen Widerstands. Der Alltag soll möglichst schnell wieder einsetzen. Die London Cycling Campaign (LCC) beschwerte sich bereits über die Barrieren, die auf Brücken der britischen Metropole installiert wurden, um zu verhindern, dass dort erneut Fahrzeuge als Waffen gegen Fußgänger eingesetzt werden. Sie machten den Straßenverkehr für Radfahrer gefährlicher, klagte die Zweiradlobby. In erster Linie sorgen sie für eine Verlangsamung des Fahrradverkehrs, denn die Biker können sich nicht mehr gegenseitig überholen, sondern müssen nacheinander durch die Engpässe. Freie Fahrt für freie Bürger! Für das Statusbewusstsein der City-Mitarbeiter ist Cycling heute so wichtig wie für ihre Vorgänger Golf. Kein Wunder, dass sich die meisten Beschwerden auf die Hindernisse an der Blackfriars Bridge beziehen, die am Cycle Superhighway 6 liegt.Während sich die Biker schon über eine kleine Beschränkung ihrer Freiheit lautstark beklagen, fragen sich andere, warum die Barrieren nicht schon nach dem Anschlag von Westminster errichtet wurden. Einen Tag vor dem Anschlag auf der London Bridge verlautbarte die City of London Corporation, es gebe keine Pläne, Poller oder andere Seitensicherungen zu errichten.Vielleicht liegt es ja daran, dass sich viele britische Politiker einfach nicht an den Gedanken gewöhnen können, dass der Krieg aus Nahost und Nordafrika längst vor der eigenen Haustür angekommen ist. Boris Johnson, damals noch Bürgermeister der britischen Metropole, begann 2010 damit, viele Kilometer schwarzes Metallgeländer zu entfernen, die es Fahrzeugen zumindest erschwert hätten, auf den Gehweg zu wechseln – auch auf der London Bridge. Transport for London machte damals ästhetische Gründe geltend. Die Straßen der Hauptstadt seien viel zu vollgestopft. Barrierefreiheit lautete schon damals das neue Dogma. Auch der Zweiradverkehr war bereits ein großes Thema. Radfahrer würden durch die Seitensicherung gefährdet, hieß es, obwohl Verkehrssicherheitsexperten der Meinung waren, dass Unfälle dadurch eher vermieden würden. Auch unter Johnsons Labour-Nachfolger Sadiq Khan geht der Abbau der Schutzgeländer weiter – allen Warnungen zum Trotz.Vor dem Anschlag auf das Parlament in Westminster hatten sich Abgeordnete und deren Mitarbeiter über Sicherheitsbarrieren beschwert. Sie seien hässlich und würden dem bedeutenden historischen Gebäude nicht gerecht. Die bewaffneten Polizeikräfte vor den Besuchereingängen sorgten zudem nicht für die von den Volksvertretern gewünschte einladende Atmosphäre. Nachdem ein islamistischer Terrorist im März auf das Gelände vordrang und nur durch einen zufällig herumstehenden Leibwächter des Verteidigungsministers Michael Fallon gestoppt wurde, ist etwas mehr Realitätssinn eingekehrt.Natürlich müssen Barrieren nicht unbedingt das Auge beleidigen. Die von einem Londoner Musiker gegründete Initiative “London Safety Garden” setzt sich dafür ein, überdimensionierte Blumenkübel aufzustellen, die vor Kugeln und Fahrzeugen gleichermaßen Schutz bieten könnten. Sie könnten von Nachbarschaftsinitiativen, Schulen oder anderen Freiwilligen bepflanzt werden. Das würde weniger einschüchternd auf Kinder wirken und könnte zudem Interesse am Gärtnern wecken, heißt es auf der Facebook-Seite der Gruppe.”Freedom is in Danger, Defend it with all your Might” (Die Freiheit ist in Gefahr, verteidigt sie mit aller Kraft) ist ein heute weniger populärer Slogan, der einst auf Plakate gedruckt wurde. Diesen Ehrgeiz spürt man heute einfach nicht mehr. Aber die britische Spaßgesellschaft ist auf ganz eigene Weise unkaputtbar. Nach Ereignissen wie dem Nagelbombenanschlag auf ein Teenie-Pop-Konzert in Manchester wird der Konsum unverdrossen wiederaufgenommen. Ariana Grandes Selbstvermarktung umgibt seitdem ein Heiligenschein. Die Todessehnsucht der Gotteskrieger hat gegen so etwas keine Chance.