NOTIERT IN LONDON

Geröstete Grillen - von der Spielerei zum Alltagssnack

Sainsbury's hat als erster britischer Supermarkt essbare Insekten von Eat Grub ins Sortiment aufgenommen. Das war schon im November 2018. Shami Radia, einer der Gründer der Firma, war für eine Hilfsorganisation in Malawi tätig, als er dort...

Geröstete Grillen - von der Spielerei zum Alltagssnack

Sainsbury’s hat als erster britischer Supermarkt essbare Insekten von Eat Grub ins Sortiment aufgenommen. Das war schon im November 2018. Shami Radia, einer der Gründer der Firma, war für eine Hilfsorganisation in Malawi tätig, als er dort beobachtete, wie die ganze Dorfgemeinschaft zu Beginn der Regenzeit Termiten sammelte. Allein der Geschmack der gerösteten Termiten habe ihn überzeugt, dass die Einführung essbarer Insekten in Großbritannien den Versuch wert sei, heißt es bei dem mittlerweile recht erfolgreichen Unternehmen. Smoky BBQ Crunchy Roasted Crickets hört sich ja auch cool an, nicht nach Fühlern und Kribbelkrabbel. Die Sushi-Kette Abokado bietet die gerösteten Grillen als Topping für ihre Produkte an.Mittlerweile ist Insektenprotein in Großbritannien ziemlich angesagt. Immerhin 42 % der Verbraucher wären bereit, es einmal zu probieren, berichtete das Branchenmagazin Grocer’s. Und das nicht nur im Londoner Hipster-Viertel Shoreditch: Beim Mexikaner Santo Remedio nahe London Bridge gibt es auf Wunsch Grashüpfer auf die Guacamole. Auch die mehr als 10 000 Besucher des “Food to Fork”-Festivals der Harper Adams University in Shropshire konnten Kekse aus Grillen oder eine Bolognese aus Insekten probieren.In Afrika, Asien und Lateinamerika greifen die Menschen schon lange auf Grashüpfer, Wespen und Würmer zurück, um sich mit Eiweiß, Eisen und Kalzium zu versorgen. Die Welternährungsorganisation FAO plädiert seit 2003 dafür, den nahrhaften Insekten eine größere Rolle bei der Ernährung zuzubilligen. “Die Zukunft unserer Nahrung muss Insekten mit einschließen”, sagt der Koch Chris Burt, der auf dem Festival eine Reihe von Gerichten präsentierte. Er will zeigen, dass man mit Insekten auch herzhafte Gerichte kochen kann statt sie nur in Schokolade getaucht auf den Teller zu legen.Neben Eat Grub werben Crunchy Critters und Crické um die Aufmerksamkeit der britischen Verbraucher. Yora bietet Hundefutter auf Insektenbasis an. Die Investmentbank Barclays hat eine umfangreiche Studie zum Thema Insektenprotein verfasst. Demnach könnte der Markt bis 2030 auf 8 Mrd. Dollar anschwellen – das entspeche einem jährlichen Wachstum von knapp einem Viertel. Das Argument für die neue Eiweißquelle ist schlüssig: Wenn die Weltbevölkerung bis 2050 auf 10 Milliarden wächst und die Nahrungsmittelproduktion um bis zu 70 % gesteigert werden müsste, wie von der Welternährungsorganisation FAO angenommen, ließe sich das mit den herkömmlichen Produktionssystemen nicht bewältigen. Ein Einsatz von Insektenprotein als Tierfutter wäre noch vergleichsweise schnell zu bewerkstelligen. Aber höhere Einkommen in den Schwellenländern haben eine größere Nachfrage nach Protein zur Folge. Glücklicherweise interessieren sich die Verbraucher in den entwickelten Ländern zunehmend für Umwelt- und Gesundheitsfragen, so dass die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit vielleicht nicht mehr so drängt. So ist der Proteinkonsum in Großbritannien dem Marktforscher Kantar zufolge zwar in den vergangenen zwei Jahren gestiegen, aber der Anteil von Schweinefleisch, Bacon und Würstchen daran schrumpfte. Vor allem jüngere Konsumenten sorgen sich um die Auswirkungen ihrer Ernährungsweise auf die Umwelt. Würde jede britische Familie ein Jahr lang auf ein Gericht mit “rotem” Fleisch – also Rind oder Lamm – zugunsten eines pflanzenbasierten Gerichts verzichten, hätte das laut einer weiteren Studie den gleichen Effekt auf die Umwelt, als würde man 16 Millionen Autos von der Straße nehmen. Für die Insektenproduktion benötigt man weniger Land, Wasser und Futter als in der traditionelle Nutztierhaltung. Dabei enthalten Grillen so viel Eiweiß wie Hühner-, Schweine- oder Rindfleisch, aber noch mehr Eisen. Sie sollen sich sogar wegen des hohen Ballaststoffanteils positiv auf die Darmflora auswirken. Einer größeren Verbreitung steht aber der Preis im Weg. Ein 12g-Päckchen Grillen kostet bei Sainsbury’s 1 Pfund. Das Grillenpulver von Eat Grub schlägt mit 9,99 Pfund für 100 g zu Buche. Das müsste sich schnell ändern, sollen Insekten auch in Großbritannien einen festen Platz in der Küche finden. Aber wenn es jeder macht, wäre es ganz fix nicht mehr angesagt, sich Insekten übers Essen zu streuen.