Geschäfte in Gefahr
Es seien keine Bürgerkriegsszenen aus Beirut oder Bagdad, sondern Aufnahmen mitten aus Paris, kommentierte ein US-Videojournalist auf Twitter. Die Bilder von den Protesten der Gilets Jaunes zeugen von einer bisher nicht gekannten Gewaltbereitschaft und Radikalisierung. Am Samstag plünderten die Gelbwesten oder solche, die sich dafür ausgeben, mehrere Boutiquen auf den Champs-Elysées, darunter Boss, Nespresso, Lacoste, Bulgari und Zara. Sie zertrümmerten Schaufenster und steckten Läden sowie Restaurants in Brand, darunter das legendäre “Le Fouquet’s”, in dem einst Nicolas Sarkozy seinen Wahlsieg feierte. Das Geschäftslokal einer Bank brannte lichterloh, so dass das gesamte Gebäude evakuiert werden musste, – elf Personen wurden verletzt.Doch der Eindruck, ganz Frankreich sei von Ausschreitungen lahmgelegt, täuscht. In anderen Vierteln von Paris und im Rest des Landes ist es ruhig. Sicher, auch in anderen Städten kommt es am Rande der Gelbwesten-Proteste, die Mitte November begonnen hatten, immer mal wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen. Doch in Hochburgen der begonnenen Protestbewegung wie Bordeaux hat die Beteiligung an den vergangenen Wochenenden immer stärker nachgelassen.Die Gewaltexzesse vom Samstag in Paris sind der Versuch einer immer unbedeutender werdenden Minderheit, mit spektakulären Zerstörungen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Je mehr die Beteiligung an ihren Protestkundgebungen nachlässt und je näher die Europa-Wahlen im Mai rücken, desto größer ist die Gefahr, dass die Ausschreitungen weiter zunehmen. Viele Beobachter in Frankreich sind überzeugt, dass die Gelbwesten-Proteste bis zu den Europa-Wahlen anhalten werden. Denn im Hintergrund der Bewegung zieht auch die ein oder andere links- und rechtsextreme Gruppierung die Fäden und manipuliert die Gelbwesten. Ihr Ziel ist, die Regierungspartei von Präsident Emmanuel Macron so stark wie möglich in Misskredit zu bringen, um ihre Position bei den Europa-Wahlen zu schwächen. *Während die Gelbwesten-Proteste in den Innenstädten an Samstagen Kunden und Touristen vergraulen, leiden die riesigen, Hypermarchés genannten Supermärkte in den Vororten unter den sich verändernden Konsumgewohnheiten – und einem gewissen Überangebot. Obwohl dies bereits seit einiger Zeit deutlich sichtbar ist, erteilen die in den einzelnen Départements für die kommerzielle Ausstattung zuständigen Kommissionen munter weiter Genehmigungen für die Ansiedlung solch überdimensionierter Konsumtempel. Dadurch würden neue Arbeitsplätze geschaffen, argumentieren die Gremien, die aus Lokalpolitikern bestehen. Die Hypermarchés und Einkaufszentren stünden für Wachstum und wirtschaftliche Aktivität.Doch all das geht zu Lasten der Innenstädte. Denn die Hypermarchés siedeln sich zu 85 % in den Vororten an. Während ihre Anzahl zwischen 1977 und 2017 in Frankreich von 355 auf 2 179 gestiegen ist, leeren sich vor allem in kleineren und mittelgroßen Gemeinden die Innenstädte. Denn 66 % der Franzosen tätigen ihre Einkäufe nach wie vor vorzugsweise in den Vororten, obwohl diese oft nur schwer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. Nach Angaben des Einzelhandelsverbandes Procos, der 300 landesweit präsente Ketten vertritt, ist der Leerstand im vergangenen Jahr weiter gestiegen – auf 11,9 %. Je kleiner die Städte, desto stärker sind sie von dem Phänomen betroffen.Die Ladenflächen würden schneller wachsen als die Bevölkerung, erklärt Procos. Vor allem aber wächst die Verkaufsfläche um einiges stärker als der Konsum. Mit immer mehr und noch größeren Supermärkten in den Vororten wird sich der Konsum jedoch nicht so einfach ankurbeln lassen. Die Regierung von Präsident Macron versucht dem Sterben der Läden in den Innenstädten entgegenzuwirken, doch Beobachter sind skeptisch, ob die von ihnen beschlossenen Maßnahmen allein ausreichen werden. Dabei führt das Ladensterben zu einem fatalen Teufelskreis: Je weniger Läden in den Innenstädten, desto weniger auch die Kultur- und Freizeitangebote. Dann ziehen die Bewohner weg und der Verfall setzt ein.