NOTIERT IN BERLIN

Großer Bahnhof für die deutsche Raumfahrtindustrie

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat der Raumfahrtindustrie einen ungewöhnlich großen Bahnhof bereitet. "Das hätten wir uns nie getraut", bekannte Marco Fuchs, Chef von Orbitale Hochtechnologie Bremen (OHB), das hinter Airbus...

Großer Bahnhof für die deutsche Raumfahrtindustrie

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat der Raumfahrtindustrie einen ungewöhnlich großen Bahnhof bereitet. “Das hätten wir uns nie getraut”, bekannte Marco Fuchs, Chef von Orbitale Hochtechnologie Bremen (OHB), das hinter Airbus zweitgrößte Branchenunternehmen hierzulande, beim ersten “Weltraumkongress” des BDI zu den Forderungen der Industrielobby. Der Verband wünscht sich unter anderem, dass die staatlichen Mittel für die Raumfahrt von 285 Mill. Euro auf das Niveau des französischen Nachbarn gehoben und damit mehr als verdoppelt werden. Außerdem soll Deutschland einen Weltraumbahnhof für den Zugang zum All bauen und bis 2024 eine eigene Astronautin auf den Mond bringen. Bisher habe es die Branche noch nicht einmal zu einem eigenen Buchstaben gebracht, stellte Fuchs, der Schatzmeister im Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie BDLI ist und hier offenkundig das “R” vermisst, mit einem Augenzwinkern fest. Die Zurückhaltung hat aber nicht mit mangelndem Selbstvertrauen zu tun: In puncto Leistungsfähigkeit müsse die vornehmlich mittelständisch strukturierte deutsche Raumfahrtindustrie den Vergleich zu den US-Konkurrenten nicht scheuen. “Damit kann man Geld verdienen, weil die Raumfahrt nützlich ist”, erklärt der OHB-Chef. *BDI-Präsident Dieter Kempf, der sich zum Aufakt des Weltraumkongresses nicht nur als begeisterter Leser des Science-Fiction-Klassikers “Per Anhalter durch die Galaxis” zu erkennen gab, sondern auch bekannte, dass er auf der eigenen Terrasse regelmäßig nach der Internationalen Raumstation ISS Ausschau hält, will die Raumfahrt in Deutschland deshalb zu einem “1A-Thema” machen. Er verwies dazu unter anderem auch auf Studien der Europäischen Weltraumagentur ESA, die den volkswirtschaftlichen Nutzen der Raumfahrt auf das Sechsfache der Investitionen veranschlagen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der am Weltraumkongress von seiner Faszination als Elfjähriger über den ersten deutschen Satelliten “Azur” berichtete, der im November 1969 auf dem Rücken einer amerikanischen Trägerrakete von der Vandenberg Air Force Base in den USA ins All startete und schon damals vom bayrischen Oberpfaffenhofen aus gesteuert wurde, sicherte zu, die Forderungen des BDI zu prüfen, auch wenn sich Deutschland zuletzt sowohl mit Bahnhöfen als auch mit Flughäfen schwergetan habe, scherzte der Minister. Die Aussichten für eine deutsche Startrampe ins All dürften allerdings gering sein. Immerhin sind in Schottland und auf den Azoren bereits sogenannte Microlauncher für den Start kleiner Satelliten geplant, wo es wegen der geografischen Lage und dünnerer Besiedelung bessere Voraussetzungen für einen europäischen Zugang ins All gibt. * Auch der ehemalige Astronaut Thomas Reiter, der weiterhin bei der ESA arbeitet, bezweifelt deshalb, dass ein deutscher Weltraumbahnhof sinnvoll wäre. “Wenn man sich die Landkarte anschaut, dann sieht man, dass Portugal von den Azoren her hervorragende Bedingungen hätte”, sagte Reiter dem SWR. Für die autonome Region spricht nicht zuletzt die Nähe zu Kourou in Französisch-Guayana, wo die europäischen Trägerraketen vom Typ Ariane starten. Deutsche Unternehmen, die kleine Satelliten herstellen, sollten dennoch gefördert werden, “auch wenn sie nicht aus Deutschland starten”, sagt Reiter. Das würde nicht zuletzt der Start-up-Metropole Berlin helfen, die im Ranking der Prüfungsgesellschaft EY gemessen an den Finanzierungen für Nachwuchsunternehmen gerade hinter die französische Hauptstadt Paris zurück gefallen ist. Mit LiveEO, Planetary Transportation Systems, Terrascan und Berlin Space Technologies stellten sich am Weltraumkongress gleich vier Weltraum-Nachwuchsunternehmen aus Berlin vor. Sie hoffen auf ähnliches Interesse von Investoren wie zuletzt beim britischen Internet-Satelliten-Start-up Oneweb, das im ersten Halbjahr mehr als 1 Mrd. Dollar eingesammelt hat. Der große Bahnhof des BDI hätte sich für Deutschland dann auch ohne Microlauncher gelohnt.