Groteskes Deutschlandbild
Was ist nur mit der SPD los? Lange Verhandlungen im EU-Rat der Staats- und Regierungschefs haben nach der Europawahl ein Personaltableau hervorgebracht. Es erfüllt nicht alle Wünsche und entspricht nur dem kleinsten politischen Nenner, aber immerhin ist eine Lösung gefunden. Deutschland hat die Ehre, nach Jahrzehnten wieder den Posten der EU-Kommissionspräsidentschaft zu besetzen. Der Europäische Rat hat die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) fast einstimmig als Kandidatin benannt.Die SPD – immerhin Mitglied der deutschen Bundesregierung – schießt nun aus allen Rohren dagegen. Bundeskanzlerin Merkel (CDU) hatte sich im Rat bei der Nominierung der deutschen Kandidatin enthalten müssen – genauso, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht, wenn sich die Partner uneinig sind. Es ist zwar nur eine Formalie. Das Bild, das die Bundesregierung damit international abliefert, ist aber grotesk. Noch grotesker ist die jüngste Aktion in Brüssel: Die deutschen Sozialdemokraten im Europäischen Parlament torpedierten die europäische Werbetour Ursula von der Leyens nun mit einer zweiseitigen schriftlichen Auflistung von Anschuldigungen, warum sie eine unzulängliche und ungeeignete Kandidatin ist.Getreu der Erkenntnis “Was A über B sagt, sagt mehr über A als über B”, fällt der Schaden der Aktion auf A zurück – also auf die SPD. Die Erfolgs- oder Misserfolgsbilanz der Ministerin sei dahingestellt. Die SPD aber benimmt sich in Brüssel, als sei sie in Berlin in der Opposition. Etwas mehr Staatsräson wäre durchaus angebracht. In Berlin legt die Aktion in Brüssel die Auflösungstendenz der einstmals stolzen und staatstragenden Arbeiterpartei offen. Die Interims-Parteiführung ist offenkundig machtlos und war – einem der drei Übergangsvorsitzenden, Thorsten Schäfer-Gümbel, zufolge nicht einmal informiert. Unterstützung fanden die Brüsseler Sozialdemokraten in Berlin demnach nicht.Eine gute politische Haltung ist es in der Tat, dem Wähler nach der Wahl zu geben, was ihm vor der Wahl versprochen wurde. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) wird nicht müde, daran zu erinnern. Die SPD hat insofern recht, dass den Europäern vor der Wahl mit dem deutschen Konservativen, Manfred Weber, und dem niederländischen Sozialdemokraten, Frans Timmermans, zwei Spitzenkandidaten in Aussicht gestellt wurden, die nun beide für die Kommissionspräsidentschaft nicht zum Zuge kommen. Betrug am Wähler?In einem kleinen Bundesland in Deutschland war die SPD nicht so zimperlich. In Bremen verloren die Sozialdemokraten am selben Tag der Europawahl in der Bürgerschaft ihre Mehrheit mit den Grünen und mussten der CDU den Platz als stärkste politische Kraft überlassen. SPD-Spitzenkandidat und Bürgermeister Carsten Sieling verhandelte eine rot-grün-rote Koalition. Dann erklärte der Wahlverlierer seinen Rückzug. Am 15. August dürfte SPD-Fraktionsvorsitzender Andreas Bovenschulte in das Bürgermeisteramt gewählt werden. Ein Blick nach Bremen könnte manche Nerven in Brüssel beruhigen.