Halb
Ist das Glas halb leer oder halb voll? – so lautet meist die Frage, um die Pessimisten von den Optimisten zu unterscheiden. Mit Blick auf die Lage der deutschen Wirtschaft muss die Antwort ganz klar heißen: “halb”. Denn die aktuelle Situation bietet Grund zu Optimismus wie zu Pessimismus. Egal, welcher Wertung man aber auch zuneigt, entscheidend ist nun, dass Unternehmen, Konsumenten und die große Politik einen kühlen Blick bewahren und besonnen handeln.Einerseits stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vierten Quartal 2018, was an sich natürlich kein schönes Ergebnis ist. Insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass Anfang 2018 – also vor gerade einmal zwölf Monaten – alles noch ganz anders aussah: Ein weiteres fulminantes Jahr schien bevorzustehen, und eine 2 vor dem Komma beim Wirtschaftswachstum galt als ausgemacht. Bedenkt man aber andererseits, dass seit einiger Zeit die Befürchtung im Raum stand, dass es im zweiten Halbjahr zu einer (technischen) Rezession – also zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit auch nur leicht negativen Veränderungsraten beim BIP – gekommen sein könnte, so ist dieser Ausgang wiederum als positiv zu bewerten.Jetzt aber wäre es fahrlässig, sich die Situation schönzureden und mit einem simplen “Weiter so” die existierenden Probleme aussitzen zu wollen. Zugleich sollte sich aber auch niemand – auch die Politik nicht – in hektische, unüberlegte Aktivitäten stürzen. Nicht, dass am Ende aus dem permanenten Gerede über schwindende Zuversicht und Rezession eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wird. Kein InvestitionshindernisDass die Unternehmen angesichts der Unsicherheit mit Blick auf den amerikanisch-chinesischen Handelsstreit und den immer wahrscheinlicher werdenden harten Brexit nicht überbordend investieren, ist einerseits verständlich. Andererseits aber ist die Kapazitätsauslastung anhaltend hoch, und die Auftragsbücher sind weiter gut gefüllt – die Reichweite liegt bei 5,6 Monaten. Dies heißt, dass es zu keinen Stornierungen in größerem Ausmaß kommt. Für die Unternehmen gibt es also keinen Grund, bei den Investitionen wieder zurückhaltend zu werden, zumal die Finanzierungssituation weiter ordentlich aussieht. Die Industrie sollte auch deswegen verstärkt für Wachstumsimpulse sorgen, da die Probleme der Automobilindustrie bei der Umstellung auf das strengere Abgasprüfverfahren WLTP nun gelöst sind und die Pegelstände der Flüsse wieder die reibungslose Versorgung vor allem der chemischen Industrie mit Vorprodukten erlauben. Spendierhosen bleiben anEs gibt aber noch weitere Argumente für einen anhaltenden binnenwirtschaftlichen Schwung. Der Staat, der bereits im Schlussabschnitt seine Ausgaben deutlich erhöht hat, wird spendabel bleiben. Und die privaten Haushalte werden mit Blick auf den robusten Arbeitsmarkt, steigende Reallöhne, Entlastungen bei Steuern und Abgaben sowie zusätzliche monetäre Sozialleistungen weiter konsumieren.Klar ist: Der Höhepunkt der Konjunktur ist überschritten, und die Prognosen sind stärker als üblich mit Unsicherheiten belastet. Zumindest die Rahmenbedingungen aber bleiben gut. Nun kommt es insbesondere darauf an, dass die Politik die von ihr selbst kreierten Unwägbarkeiten wie den Handelskonflikt oder den Brexit schnellstens aus der Welt schafft. Ein Hoffnungswert ist, dass Peking die schwächelnde chinesische Wirtschaft wieder stabilisiert. Und für die Bundesregierung gilt, dass sie jetzt nicht neue wirtschaftliche Risiken schafft – wie etwa durch die von der SPD geplante Abkehr von den Hartz-IV-Reformen.