Hanau statt Hanoi
Dieses Jahr ist bekanntermaßen alles ganz anders. Denn Corona verändert nicht nur die Arbeitswelt – durch Homeoffice und Zoom. Sondern auch den Urlaub. Und damit natürlich auch die aktuell anstehende Rentrée aus dem Urlaub.Früher war es üblich, dass sich die von Nach-Urlaubs-Kummer geplagten Kolleginnen und Kollegen beim Treffen in Büro-Teeküchen in Schwärmereien über weit entfernte Landschaften und exotische Speisen und Gebräuche überboten – über das superleckere Kudu-Steak in der Serengeti-Lodge oder über pittoreske thailändische Maskentänze auf Koh Samui. Diese Korrespondentenberichte aus den Sommerfrischen fallen dieses Jahr ersatzlos aus. Erstens ist ohnehin kaum jemand mit dem Flieger in den Urlaub gestartet. Zweitens haben die wenigen, die es getan haben, wenig Ambition, damit zu prahlen, dass sie in potenziellen Risikogebieten unterwegs waren. Und drittens sind die meisten Teeküchen in Büros und Bankhochhäusern ohnehin geschlossen, damit sich die Belegschaft in Coronazeiten nicht zwischen Mikrowelle und Kaffeeautomaten drängelt.Fernsehbilder lassen vermuten, dass es halb Deutschland zuletzt wahlweise auf Rügen, Norderney oder an den Tegernsee verschlagen hat. Das ist nicht ganz falsch, aber auch eben nicht ganz richtig. Denn grundsätzlich stimmt es natürlich, dass Fernreisen in exotische Länder – und insbesondere Städtereisen – stark eingebrochen sind, während der innerdeutsche Kurzausflug – und vor allem der Abstecher in die regionale Umgebung – bei vielen angesagt war. Waldsee statt Costa del Sol. Hanau statt Hanoi.Aber niemand sollte daraus ableiten, dass der Deutschland-Fremdenverkehr 2020 einen Boom erlebt. Ganz im Gegenteil. Denn erstens sind die Umsätze der Inbound-Touristen aus aller Welt dramatisch eingebrochen – was sich anschaulich daran beobachten lässt, dass man in der Kleinmarkthalle nicht mehr eine halbe Stunde auf die heiße Fleischwurst warten muss, weil die japanischen Reisegruppen fehlen. Und zweitens ist die Begeisterung für Veranstalterreisen in Hotels mit hoher Bettenzahl gedämpft, was vor allem Reisemittler und die großen Touristiker in Nöte bringt – Tui lässt grüßen. Wenig Wunder, dass das Statistische Bundesamt gerade fürs erste Halbjahr einen Rückgang der Übernachtungszahlen in deutschen Beherbergungsstätten um 47,1 % gemeldet hat.An diesem dramatischen Einbruch konnte nicht einmal die neu entdeckte Liebe der Bundesbürger für Ferien auf dem Campingplatz etwas ändern – obwohl sich die Frage stellt, warum Menschen, die Hotels wegen des möglichen Gedränges am Frühstücksbuffet meiden, sich in der Gemeinschaftsdusche auf dem Zeltplatz sicherer fühlen. Wie dem auch sei: Fremdenverkehrprofis sprechen von einem Trend zum “naturnahen und individuellen” Urlaub. Und das bedeutet für die nächsten Wochen, dass man sich beim Plausch mit dem Kollegen weniger auf Reportagen über Bounty-Strände als vielmehr auf Wanderlegenden vom Streuobstwiesen-Pilgerpfad einstellen sollte.