Handelsstreit dominiert Konjunktur

Ökonomen verhalten optimistisch für deutsche Wirtschaft - Klimaschutz als neue Herausforderung

Handelsstreit dominiert Konjunktur

Von Alexandra Baude, FrankfurtZum Jahreswechsel hat neben Plätzchen, Glühwein und Weihnachtsbäumen vor allem eines Hochkonjunktur: die Prognosen der Volkswirte mit ihrem Ausblick auf das neue Jahr, aber auch einem Rückblick auf das zu Ende gehende. Nun soll man ja bekanntlich eher nach vorn blicken und Vergangenes ruhen lassen – nicht umsonst ist im Auto der Rückspiegel kleiner als die Frontscheibe. Trotzdem ist es spannend zu sehen, welche Schlussfolgerungen aus den Entwicklungen der vergangenen Monate gezogen werden, was daraus für die kommenden Monate abgeleitet und wie erklärt wird, dass letztlich nie alle Prognosen eingetroffen sind.Für das Jahr 2019 kann man konstatieren, dass sich die konjunkturbestimmenden Themen – die von den USA ausgehenden Handelskonflikte, der Brexit und eine weniger dynamische Weltwirtschaft – schon zuvor abgezeichnet hatten. Daher waren die Ende 2018 für 2019 getroffenen Voraussagen schon nicht mehr ganz so euphorisch. Zur Erinnerung: Am Jahresanfang 2018 kochten noch die Sorgen hoch, dass die deutsche Wirtschaft zu überhitzen droht. Dass dennoch im Jahresverlauf 2019 die Prognosen immer weiter heruntergeschraubt worden sind, liegt vor allem daran, dass Zahl und Dimension der Rückschläge bei den Handelskonflikten und den Brexit-Verhandlungen unterschätzt worden waren. Gesamtbild kaum verändertAm konjunkturellen Gesamtbild, den größten Einflussfaktoren und ihrer Bewertung wird sich auch im neuen Jahr relativ wenig ändern: Die Weltwirtschaft hat ihren zyklischen Wachstumshöhepunkt überschritten, in vielen Ländern steigt die Beschäftigung – wenn auch immer weniger dynamisch -, mancherorts dämpft der Fachkräftemangel das Wachstum, die Industrie schwächelt, die Automobilbranche muss den Sprung vom Verbrennungsmotor hin zu alternativen Antriebsformen schaffen, und die Inflation bleibt trotz weit geöffneter Geldschleusen der wichtigsten Notenbanken verhalten. Zudem hat China deutlich an Schwung verloren, und die US-Wirtschaft hat in diesem Zyklus wohl das Beste hinter sich.Auch die politischen Belastungsfaktoren sind seit Ende 2018 nahezu unverändert: Es herrscht Verunsicherung über den Ausgang des Brexits sowie den Fortgang der von den USA ausgelösten Handelsstreitigkeiten. Sorgen vor einer sich munter weiterdrehenden Zollspirale bleiben. Der zwischen den USA und China geschlossene Phase-1-Deal ist nicht mehr als ein Zwischenschritt. Seit einigen Wochen ist klar, dass – wie befürchtet – die Berufungsinstanz im Streitschlichtungsverfahren der Welthandelsorganisation (WTO) nicht mehr handlungsfähig ist. Dies geht ebenso auf das Konto der USA wie die Blockade der WTO-Reform. Rivalität wird DauerbrennerJörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht in der Rivalität zwischen China und den USA ein Dauerthema für die nächsten Jahrzehnte – ähnlich der Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank erwartet, dass der aufkommende Systemwettbewerb zwischen den USA und China die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren neu aufteilen wird und sieht gerade die EU ins Fadenkreuz der handelspolitischen Strategen geraten. “Wirtschaft und Finanzmärkte werden politischer”, resümiert Kater.Die ein oder andere Überraschung – vom Jahresanfang aus gesehen – hatte das Jahr 2019 allerdings doch zu bieten. Etwa im September der erneute Lockerungsschritt der Europäischen Zentralbank (EZB). So wurden nicht nur der Zinssatz der Einlagenfazilität um 10 Basispunkte auf -0,5 % gesenkt und ein Staffelzins eingeführt, sondern auch die breit angelegten Anleihekäufe (Quantitative Easing, QE) neu aufgelegt. Die Uneinigkeit im EZB-Rat über diese Schritte und der offen geäußerte Unmut darüber – etwa von Bundesbankpräsident Jens Weidmann – kam unerwartet. Ebenso wie die Berufung der geldpolitisch unerfahrenen IWF-Chefin Christine Lagarde als Nachfolgerin von EZB-Präsident Mario Draghi – oder der Abschied von Sabine Lautenschläger aus dem EZB-Direktorium zwei Jahre vor Ablauf ihrer Amtszeit.Das Jahr 2020 bietet aber auch neue Herausforderungen. So kristallisiert sich heraus, dass mit dem “Green Deal” der Europäischen Union der Klimaschutz künftig eine wesentlich stärkere Rolle im Wirtschaftsgeschehen einnehmen wird. Während dieses Abkommen manchen noch nicht weit genug geht, warnt etwa die deutsche Wirtschaft, dass die nochmalige Verschärfung der Klimaziele zu einer Verunsicherung der Konsumenten und Unternehmen führe. Das sei, wie BDI-Präsident Dieter Kempf erklärt, “Gift für langlebige Investitionen”.Aus der Strategieüberprüfung der Europäischen Zentralbank, die Ende 2020 abgeschlossen sein soll, könnten sich Änderungen der Geldpolitik ergeben. Nach dem Sieg von Boris Johnson bei den britischen Unterhauswahlen wird der Brexit wohl zum 31. Januar kommen. Bislang noch unklar ist, ob es der EU und dem Vereinigten Königreich gelingt, ein Freihandelsabkommen zu vereinbaren.Bis Ende des Jahres hinziehen wird sich der US-Wahlkampf – ebenfalls ein zentraler Einflussfaktor für die Wirtschaftsentwicklung. Da Präsident Donald Trump wiedergewählt werden möchte, erwarten Ökonomen, dass der US-chinesische Handelsstreit zumindest nicht weiter eskaliert. Das liege auch im Interesse der Chinesen, heißt es in den Jahresausblicken der Ökonomen.Hierzulande könnte sich der Fachkräftemangel bei Handwerkern verschärfen, denn im Dezember hat das Parlament die Meisterpflicht für insgesamt zwölf Gewerke wieder eingeführt. Dazu gehören Fliesen- und Parkettleger, Rollladentechniker oder Orgelbauer. 2004 war die Meisterpflicht für mehr als 50 Berufe abgeschafft worden. Die Wartezeiten und Preise für Verbraucher könnten steigen, warnt jedenfalls Achim Wambach, Chef der Monopolkommission. “Wenig muss reichen”Was schließen nun die Volkswirte aus dieser Gemengelage? Dass die Wirtschaftsentwicklung 2020 ganz passabel wird. Die Ökonomen erwarten, dass sich das Beschäftigungswachstum fortsetzt und in Verbindung mit einer niedrigen Inflation und der Fiskalpolitik das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte erhöht und damit den Konsum in Schwung hält. Das schwache Exportwachstum werde sich stabilisieren, und die Industrie werde sich nach sechs Quartalen in der Rezession so allmählich wieder fangen.Diese Einschätzungen spiegeln sich auch in den Titeln der Jahresausblicke wider: “Wenig muss reichen” (BayernLB), “Erst halb voll, dann halb leer” (Commerzbank), “Konjunktur zieht im Sommer wieder an” (DZ Bank), “Vorhang auf! Melodram – nächster Akt” (Helaba) oder “Nullzinszeit” (DekaBank).