PERSONEN

Hans Tietmeyer

Von Mark Schrörs und Detlef Fechtner, Frankfurt Börsen-Zeitung, 29.12.2016 Im Sommer, anlässlich seines 85. Geburtstags am 18. August, stand Hans Tietmeyer dem britischen Publizisten David Marsh noch einmal Rede und Antwort - an alter...

Hans Tietmeyer

Von Mark Schrörs und Detlef Fechtner, FrankfurtIm Sommer, anlässlich seines 85. Geburtstags am 18. August, stand Hans Tietmeyer dem britischen Publizisten David Marsh noch einmal Rede und Antwort – an alter Wirkungsstätte, in der Zentrale der Bundesbank. Noch einmal hielt Tietmeyer, der von 1993 bis 1999 an der Spitze der deutschen Notenbank gestanden hatte, ein eindringliches Plädoyer für eine “Stabilitätspolitik”, nicht nur in Europa. Noch einmal warnte er, dass die Euro-Währungsunion auf Dauer ohne ein “gewisses Maß” an politischer Union nicht überleben werde. Und noch einmal pochte er darauf, wie wichtig es sei, dass Zentralbanken für Vertrauen bei den Bürgern sorgen. Viereinhalb Monate später – am Dienstag – ist Tietmeyer verstorben, wie die Bundesbank gestern mitteilte.”Als Präsident stand er vorbildhaft für die Unabhängigkeit und die Stabilitätsorientierung der Bundesbank”, würdigte die Bundesbank ihren früheren Chef in einer Erklärung. “Hans Tietmeyer war ein herausragender Präsident, dessen Handeln stets klaren und festen Linien mit dem Ziel der Geldwertstabilität folgte”, ließ sich Bundesbankpräsident Jens Weidmann zitieren. Zwei WährungsunionenTatsächlich ist es wohl kaum übertrieben, Tietmeyers Schaffen nicht nur als herausragend, sondern auch als historisch zu bezeichnen. Schließlich gibt es, wenn überhaupt, wohl nur wenige, die von sich behaupten können, in ihrem Leben gleich zwei Währungsunionen entscheidend mitgestaltet zu haben: Als persönlicher Berater des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) wirkte Tietmeyer 1990 wesentlich mit an der Einführung der D-Mark in der damaligen DDR. Und in verschiedensten Funktionen, vor allem aber als Bundesbankpräsident, drückte er auch der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion seinen Stempel auf.Die Euro-Einführung begleitete Tietmeyer dabei stets kritisch. Er pochte immer auf ein tragfähiges ökonomisches und politisches Fundament. Die Europäische Währungsunion, so lautete sein oft wiederholter Appell, dürfe “nicht nur an Sonntagen funktionieren”. Sein beharrliches Mahnen brachte ihm wiederholt Kritik ein und vom früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) gar den Vorwurf, er sei der “wichtigste Gegner der Währungsunion”. Tietmeyer, der seine Standfestigkeit einmal mit den Worten beschrieb: “Westfälische Eichen können einiges aushalten”, aber konterte solche Kritik. “Ein Statiker, ein Baufachmann, der auf die Notwendigkeiten hinweist, kann zwar in den Augen mancher als Warner dastehen, aber in Wahrheit ist er derjenige, der für die dauerhafte Stabilität des Bauwerks sorgt”, sagte er.Dem Vorwurf, er sei ein Gegner des Euro, konnte Tietmeyer außerdem entgegenhalten, dass sich die Bundesbank nie pauschal gegen die dritte Stufe der Währungsunion ausgesprochen, sondern – im Gegenteil – sogar ihren Segen erteilt hatte, als es darauf ankam. Als nämlich die Bundesregierung kurz vor dem Startschuss für den Euro ein Gutachten aus Frankfurt anforderte, wurde die Währungsunion darin von der Bundesbank als “stabilitätspolitisch vertretbar” bewertet – wobei es sich die Notenbank allerdings nicht nehmen ließ, dieses Gesamturteil im Gutachten durch zahlreiche Warnhinweise und Mahnungen zu relativieren. Zudem gab Tietmeyer seinerzeit gebetsmühlenartig zu Protokoll, dass ihn vor allem die Teilnahme von Ländern mit hohem Schuldenstand beunruhige – eine Bemerkung, die auf Belgien und Italien gemünzt war. Nicht zuletzt deshalb war es ihm ein Anliegen, dass der erste Präsident der Europäischen Zentralbank aus einem Euro-Land mit (seinerzeit) stabilen Staatsfinanzen kam. So war Tietmeyer maßgeblich daran beteiligt, dass der Niederländer Wim Duisenberg den Job bekam – nachdem Tietmeyer ihn bei einer öffentlichen Rede als “natürlichen Kandidaten” quasi nominiert hatte. Die beiden Notenbanker, deren Geburtsorte kaum 100 Kilometer voneinander entfernt liegen, verband vieles – auch wenn sie von ihrem Naturell her völlig verschieden waren. Der verschmitzte Duisenberg witzelte einmal in Gegenwart des oft preußisch auftretenden Kollegen, es wäre doch schade gewesen, wenn er etwas weiter östlich zur Welt gekommen wäre, denn dann “wäre Hans Tietmeyer nie Bundesbankpräsident geworden”.Die existenzielle Krise der Eurozone der vergangenen Jahre konnte Tietmeyer, der letzte Bundesbankpräsident der D-Mark-Ära, als Bestätigung für seine zahlreichen Warnungen vor den Risiken der Geldunion werten. Bei seiner Verabschiedung als Bundesbankpräsident im Jahr 1999 hatte er gesagt, der Euro sei keine Erlösungsformel für wirtschaftliche und soziale Probleme. Im Interview im Sommer sagte er nun: “Ein Miteinander der Politiken ist notwendig, um eine Währungsunion tragfähig zu machen. Und dieses ist leider in Europa nicht in dem Maße geschehen, wie es eigentlich hätte geschehen müssen.” Eindringlich warnte er davor, die Eurozone zu einer Transferunion zu machen. Das wäre “eine gefährliche Geschichte”, sagte er.Seine Zeit an der Spitze der Bundesbank, die anfänglich von wiederholten Spannungen im Europäischen Währungssystem geprägt war, brachte Tietmeyer Bezeichnungen wie “Ikone der Geldpolitik” ein. Tatsächlich verfolgte er das oberste Ziel der Bundesbank, die Sicherung der Währung, aus einer tiefen und früh erworbenen Grundüberzeugung heraus. Standfest gegen “Goldfinger”Vehement verteidigte er auch stets die Unabhängigkeit der Notenbank gegenüber der Politik – und scheute dabei nie Konflikte: So kritisierte er die Regierung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl für die hohe Kreditaufnahme zur Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit, und er legte sich mit dem früheren Finanzminister Theo Waigel an, als dieser die Gold- und Devisenreserven der Bundesbank neu bewerten lassen wollte, um die Kriterien des Maastricht-Vertrags besser einhalten zu können. Gerade in der “Goldfinger-Affäre” verschaffte sich Tietmeyer mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit und Standfestigkeit öffentliches Ansehen. Legendär waren schließlich Tietmeyers Schlagabtausche mit dem Bundesfinanzministerium – vor allem, nachdem dort Oskar Lafontaine als Minister eingezogen war. “Die Bundesbank ist so unabhängig, dass sie sogar die Zinsen senken würde, selbst wenn es ein Finanzminister empfiehlt”, spottete er über die ständigen Rufe Lafontaines nach einer geldpolitischen Lockerung.Diese Konfliktbereitschaft hatte Tietmeyer indes auch zuvor schon unter Beweis gestellt. So war er wohl maßgeblicher Autor des sogenannten “Wendepapiers”, mit dem der damalige Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff (FDP) 1982 den Bruch der sozialliberalen Koalition herbeiführte. Nach dem Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (nach zuvor drei Semestern Philosophie und Theologie in Münster) und der Promotion in Köln war Tietmeyer von 1962 bis 1982 fast zwei Jahrzehnte lang im Bundeswirtschaftsministerium. Bei seinem Amtsantritt als Hilfsreferent hieß der zuständige Minister noch Ludwig Erhard. Nachmittags wieder im BüroVon 1982 bis 1989 war das CDU-Mitglied dann als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium vor allem für Grundsatzfragen der Finanzpolitik, internationale Währungspolitik, Europa und als “Sherpa” für die Vorbereitung der Weltwirtschaftsgipfel verantwortlich. 1988 entging er knapp einem Anschlag, der aufgrund eines Bekennerschreibens der Roten Armee Fraktion zugeordnet wird. Für Tietmeyer aber war das kein Grund, an dem Tag dem Dienst fernzubleiben: Bereits nachmittags saß er wieder in seinem Büro und arbeitete. Tietmeyer, heißt es, verlangte viel von sich und anderen.So sehr er überzeugt war von seinen Positionen, so sehr bemühte sich der Katholik Tietmeyer, der nach seinem Studium das bischöfliche Cusanuswerk geleitet hatte, allerdings auch, das Verständnis für die Position seiner Gesprächspartner nicht zu verlieren. In dem Interview im Sommer brachte er seine Grundhaltung, um auch bei kontroversen Verhandlungen zu Ergebnissen zu kommen, auf die Formel: “Man kann und darf nicht sagen, dass in einem Land die Wahrheit vorhanden ist und in einem anderen Land nicht.”