Gastbeitrag

Höhere Zinsen schaden dem Arbeitsmarkt

Die hohen Preissteigerungen treffen die Beschäftigten hart. Die Bekämpfung der Inflation darf nicht auch noch zu ihren Lasten gehen, schreibt DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell in einem Gastbeitrag für die Börsen-Zeitung.

Höhere Zinsen schaden dem Arbeitsmarkt

Gastbeitrag

Höhere Zinsen schaden dem Arbeitsmarkt

Von Stefan Körzell

Die hohen Preissteigerungen treffen die Beschäftigten hart. Die Bekämpfung der Inflation darf nicht auch noch zu ihren Lasten gehen.

Stefan Körzell

Schon seit 2020 leiden die Beschäftigten in Deutschland unter Reallohnverlusten. Anfangs drückten noch Coronakrise und Kurzarbeit die Lohnentwicklung. Dann begann die hohe Inflation erkämpfte Lohnsteigerungen aufzufressen. Ab dem laufenden Jahr dürfte es wieder besser aussehen – wenn die guten Tarifabschlüsse der Gewerkschaften richtig zu wirken beginnen. Trotzdem steht fest: Die Inflation geht voll zulasten der Beschäftigten. Wer wenig verdient, keine Ersparnisse hat und ohnehin schon jeden Euro zweimal umdrehen muss, den trifft es extra hart. Denn ärmere Haushalte geben einen großen Teil ihres Einkommens für Energie, Lebensmittel und andere Güter aus, deren Preise besonders stark gestiegen sind.

Vor diesem Hintergrund wirkt es fast anmaßend, wenn in der jetzigen Situation vor stärker steigenden Löhnen gewarnt wird. Dennoch ertönen entsprechende Stimmen immer wieder und malen die angebliche Gefahr einer „Lohn-Preis-Spirale“ an die Wand, die die Inflation antreiben würde. Eine solche Sichtweise ist einseitig. Sie ignoriert, dass Preise für Güter und Dienstleistungen nicht von den Beschäftigten, sondern von Unternehmen gesetzt werden. Und die sind keineswegs gezwungen, höhere Kosten sofort auf die Käuferinnen und Käufer ihrer Produkte abzuwälzen. Insbesondere dann nicht, wenn sie gute Gewinne machen und es sich problemlos leisten können, höhere Löhne zu zahlen.

Problem der Profitinflation

Inzwischen bestätigen verschiedene Studien, dass die Unternehmen in den letzten Jahren nicht nur die eigenen Kostensteigerungen (aufgrund höherer Energie- und Vorleistungsgüterpreise) an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergaben. Zugleich stiegen sogar ihre Gewinnmargen. Die Preise wurden also von vielen Unternehmen stärker erhöht, als es zur Kompensation höherer Kosten notwendig gewesen wäre. Immer mehr Ökonominnen und Ökonomen verweisen deshalb auf das Problem der „Profitinflation“. Sogar die Europäische Zentralbank hat mittlerweile anerkannt, dass die hohen Gewinne der Unternehmen einen erheblichen Preisdruck ausüben.

Die Tatsache, dass ein Großteil der Inflation durch Energie- und andere Preisschocks ausgelöst wurde und die im Inland erzeugte Inflation nicht von den Löhnen ausging, sondern von hohen Gewinnen, macht zweierlei deutlich:

Erstens gibt es einen soliden Spielraum für ein höheres Lohnwachstum in den nächsten Jahren. Angesichts der Reallohnverluste, die die Beschäftigten hinnehmen mussten, wäre das aus Gründen der Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts geboten. Gleichzeitig wäre es angesichts der drohenden Rezession makroökonomisch sinnvoll, die Kaufkraft und Konsumnachfrage der Beschäftigten zu stabilisieren.

Geldpolitik sollte Kurs ändern

Zweitens sollte die Geldpolitik ihren Kurs ändern. Die angebotsseitigen Preisschocks klingen ab und die Inflation geht tendenziell von selbst zurück. Gegen den Teil der Inflation, der durch das Profitstreben der Unternehmen verursacht ist, sind Zinserhöhungen ein falsches Mittel. Besser wäre, dieses Verhalten durch aktive wettbewerbsrechtliche Eingriffe, Preiskontrollen oder andere direkte Maßnahmen zu unterbinden.

Zinserhöhungen gehen an den Ursachen der Inflation vorbei und treffen in erster Linie die Falschen: Sie würgen die Konjunktur ab, befördern Arbeitslosigkeit und sorgen für weiteren Druck auf die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben. Die Bauwirtschaft hat der Zinshammer bereits getroffen. Die Kreditvergabe in diesem Sektor ist förmlich eingebrochen. Auch für die Wirtschaftsleistung insgesamt prognostizieren mittlerweile alle Institute einen Rückgang im laufenden Jahr. Noch schlechter wird die Lage, wenn im nächsten Jahr auch noch die Staatsausgaben sinken, um die Schuldenbremse wieder einzuhalten.

Die EZB wäre also gut beraten, die Wirkung ihrer bisherigen Politik abzuwarten und eine Zinspause einzulegen. Die Politik wiederum sollte alles daransetzen, Tarifbindung und Mitbestimmungsrechte in der aktuellen Situation zu stärken, um ausufernden Profiten und den fatalen Verteilungswirkungen der Gewinninflation entgegenzuwirken.

Stefan Koerzell

Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands Deutscher
Gewerksschaftsbund (DGB)