In der Finanzbranche ist Leisetreterei angesagt
bn/rec Frankfurt
Harte Kritik aus der Wissenschaft, weiche Welle in der Kreditwirtschaft – auf diesen Nenner lässt sich die Resonanz in Deutschland auf den am Mittwoch von der EU-Kommission vorgelegten delegierten Rechtsakt zur Taxonomie bringen. Während Ökonomen und etwa der Verein Finanzwende wetterten, trat Deutschlands Kreditbranche extrem leise auf und enthielt sich in der Gretchenfrage zu Atom und Gas einer Meinung: „Die Kriterien, die der Entscheidung zugrunde liegen, Gas und Atomenergie als Übergangstechnologien in die Taxonomie einzubinden, wurden im Rahmen einer Expertenkonsultation gesammelt“, teilte die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) als Interessenvertretung der Bankenverbände mit: „Auf dieser Basis hat die Europäische Kommission nun entschieden. Die Finanzwirtschaft war hier nicht involviert.“
Diverse Interessen
Nun bringt es schon der über die Säulen der Kreditwirtschaft hinwegreichende Charakter der DK mit sich, dass diese Instanz selten mit starken Urteilen aufhorchen lässt – zu divers sind die Interessen des Sparkassenverbands DSGV, des Genossenverbands BVR oder des BdB, der Lobbyorganisation der privaten Banken. Wohl aus diesem Grunde hat ein früherer EU-Parlamentarier einmal zum Besten gegeben, in Brüssel trügen die Bankenverbande für gewöhnlich zunächst als DK eine vermeintlich gemeinsame Position vor, nur um kurz darauf nochmals einzeln vorzusprechen, um ihre eigentlichen Interessen zu vertreten.
Die Zurückhaltung vom Mittwoch hat indes noch einen anderen Hintergrund: Auch wenn klar ist, dass das Gas und Atomenergie von der EU nun verpasste Etikett der Übergangstechnologie Deutschlands Banken die Erfüllung regulatorischer und aufsichtlicher Anforderungen erheblich erleichtert – die Kreditwirtschaft will es partout vermeiden, sich bei diesem Thema die Finger zu verbrennen.
Kaum verlockende Szenarien
Lehnte man sich mit einer klaren Meinung aus dem Fenster, wären die Szenarien denn auch kaum verlockender, als wenn man sich neutral verhält. Würden die Banken es begrüßen, dass der delegierte Rechtsakt Atomkraft und Gas berücksichtigt, wäre ihnen der Zorn zumindest der Grünen in Bevölkerung und Bundesregierung gewiss, samt Greenwashing-Vorhaltungen, wie sie der Verein Finanzwende am Mittwoch an die EU richtete. Würden sie es verurteilen, könnten sich Kunden auf den Schlips getreten fühlen, die möglichst breit investieren und dabei dennoch ein gutes Gewissen haben wollen. Lohnt sich dies, wenn die Würfel auf EU-Ebene ohnehin gefallen sind, wird sich manch einer in der Branche gefragt haben. Die maximal diplomatische Marschrichtung hatte in der vergangenen Woche bereits der BdB vorgegeben, als dessen Hauptgeschäftsführer Christian Ossig auf dem digitalen Neujahrsempfang eine Positionierung im Streit wegen Atomkraft und Gas vermieden hatte. Die Energieträger Gas und Atomkraft stünden nicht im Fokus der Überlegungen des Verbands, die Banken bräuchten jedoch „klare Regeln“ zu deren Einstufung, damit sie das „Minenfeld Greenwashing umschiffen“ könnten, hatte er erklärt. Ins gleiche Horn stößt der Deutsche Derivate Verband (DDV): „Die Finanzindustrie braucht Klarheit bei den Nachhaltigkeitsstandards, um den Anlegerinnen und Anlegern ausweisen zu können, was genau zum Beispiel hinter ihrer Wertpapieranlage steht“, erklärte der geschäftsführende Vorstand Henning Bergmann am Mittwoch.
„Schlechte Lösung“
Ungleich deutlicher als die Kreditwirtschaft wird Jan Pieter Krahnen. Der Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität Frankfurt sowie des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE hält die Taxonomie für eine „schlechte Lösung“. Er verwies am Mittwoch auf bessere Alternativen wie den künftigen Standardsetzer für Nachhaltigkeitsreporting ISSB, der in Frankfurt angesiedelt wird. Die Dynamik des Wandels sei mit der Taxonomie nicht steuerbar, weil es überhaupt keine Rolle spiele, wie Unternehmen und Finanzmärkte sich an die Anforderungen anpassen, erklärte er: „Das ist ein großer Fehler des Konzepts. Man müsste diese Veränderungen regelmäßig messen und bewerten.“ Der Ökonom Clemens Fuest geißelte die Taxonomie als „Planwirtschaft“ und befürchtet Lobby-Schlachten. „Es ist absurd, eine Liste wirtschaftlicher Aktivitäten aufzuschreiben, um dann zu entscheiden, was gefördert wird und was nicht“, sagte der Chef des Ifo-Instituts.