Im InterviewCarsten Brzeski

Industrie könnte "kurze Renaissance erleben"

Der ING-Chefökonom Carsten Brzeski erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, warum er zwar kurzfristig zurückhaltend optimistisch für die deutsche Industrie ist, langfristig jedoch skeptisch. Außerdem mahnt er, dass die Politik den Standort im Blick haben sollte und wirft einen Blick auf das Wetter.

Industrie könnte "kurze Renaissance erleben"

Im Interview: Carsten Brzeski

Industrie könnte „kurze Renaissance erleben“

Der ING-Chefökonom zur Lage im deutschen verarbeitenden Gewerbe, den Herausforderungen und den Folgen des Wetters

Der ING-Chefökonom Carsten Brzeski erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, warum er zwar kurzfristig zurückhaltend optimistisch für die deutsche Industrie ist, langfristig jedoch skeptisch. Außerdem mahnt er, dass die Politik den Standort im Blick haben sollte, und wirft einen Blick auf das Wetter.

Herr Brzeski, Deutschland scheint an der Rezession vorbeizuschrammen, wozu auch die Industrie wohl einen Teil beigetragen hat. Die Auftragseingänge und Produktionszahlen sind im Februar ja besser als erwartet ausgefallen. Wie zuversichtlich sind sie derzeit für das verarbeitende Gewerbe?

Kurzfristig zurückhaltend optimistisch, langfristig skeptisch. Das Ende der Lockdowns in China verlief reibungsloser als befürchtet, Lieferkettenprobleme lösen sich und die Energiepreise sind deutlich niedriger. Damit könnte die deutsche Industrie eine kurze Renaissance erleben. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass die Auftragseingänge im letzten Halbjahr deutlich zurückliefen, die Industrie immer noch nicht auf dem Vor-Pandemie-Niveau steht, Energiepreise höher sind als vor Beginn des Ukraine-Krieges und die bevorstehende Abkühlung der US-Wirtschaft auch nicht spurlos an uns vorbeigehen wird.

Kann mit einer dynamischeren Industrieaktivität also der maue Konsum ausgeglichen werden?

Erst einmal ja. Vor allem der Export kann die deutsche Wirtschaft wohl vor der technischen Rezession retten. Wir sehen aktuell eine große Diskrepanz zwischen Konsum und Industrieaktivität. Die Verbraucherstimmung bleibt schlecht und die Kaufkraft leidet weiterhin unter der hohen Inflation, während die Stimmung in der Industrie zunehmend optimistisch wird. Vielleicht sogar zu optimistisch. Das könnte noch bis zum Frühsommer so weitergehen. Danach sollte die Sonderkonjunktur „Wiedereröffnung China“ allerdings wieder an Schwung verlieren.

Vor einigen Jahren haben niedrige Pegelstände der Flüsse die Produktion empfindlich gestört. Die Trockenheit setzt derzeit Italien, Frankreich und Spanien zu – und auch Sie haben jüngst nach einem Rudertraining auf die akute Gefahr niedriger Wasserstände hierzulande hingewiesen. Wie sieht es nach den Regenschauern der vergangenen Wochen aus?

Vielleicht war ich der Regenmacher Deutschlands…denn kurz nach meinem Bericht kam der Regen. Und nicht zu wenig. Anfang März hatten wir in der Tat viel zu wenig Wasser in den deutschen Flüssen. Nach einem guten Monat mit beinahe permanentem Regen stehen wir aktuell sogar leicht über den historischen Wasserständen. Das beruhigt erst einmal, auch wenn es Rudertrainings auf dem Main wegen der Strömung erschwert. Im Ernst, die letzten Jahre haben gezeigt, wie stark Klimawandel und Wetter schon jetzt Einfluss auf die gesamte Wirtschaft nehmen.

Die USA unterstützen die heimische Wirtschaft mit dem Inflation Reduction Act (IRA) kräftig, die niedrigen Energiekosten sorgen zudem für Attraktivität als Standort – sehen Sie nun vermehrt Industrieunternehmen aus Deutschland (und Europa) abwandern?

Kein Unternehmen wird heute die Fabrik abschließen, den Schlüssel in Berlin abgeben und morgen in die USA abwandern. So einfach geht das nicht. Aber natürlich werden Industrieunternehmen bei der nächsten großen Investition ins Nachdenken kommen. USA oder Europa? Aktuell spricht strukturell und standortpolitisch genauso, wie Sie sagen, einiges für die USA. Europa zieht jetzt langsam nach, muss aber – um beim Rudern zu bleiben – die Schlagzahl erhöhen, um den Standort Europa nachhaltig zu stärken. Mit Energie(preis)sicherheit und Deutlichkeit über Subventionen und Investitionen.

Auf der einen Seite schwächeln die USA, während die chinesische Konjunktur Fahrt aufnimmt – welche Folgen hat dies für die Exportwirtschaft, die im Februar ja gleichfalls ihr Geschäft ausgeweitet hat?

Im letzten Jahr durchlief die deutsche Wirtschaft im Jahresverlauf mehrere Phasen: Beginn des Kriegs in der Ukraine, Energiekrise, Ende der Lockdowns, Zinswende und China. Um nur ein paar wichtige Faktoren zu nennen. An einen normalen Konjunkturverlauf war nicht zu denken. Dieses Jahr haben wir auch wieder viele unterschiedliche Faktoren, die in entgegengesetzte Richtungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten die deutsche und europäische Konjunktur beeinflussen werden. Für die deutsche Exportwirtschaft wird es nicht einfach. China verändert sich, wird weniger deutsche Produkte nachfragen und nicht mehr in der Lage sein, wegfallende Nachfrage aus den USA oder dem Rest Europas aufzufangen.

Die Fragen stellte Alexandra Baude.

Die Fragen stellte Alexandra Baude

ING-Chefökonom Carsten Brzeski gilt als anerkannter Experte für wirtschaftliche und politische Entwicklungen in Deutschland und Europa sowie die Geldpolitik der EZB.