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Irlands Neu-Premier macht Druck

hip - Irlands frischgebackener Premierminister Micheál Martin (59) hat sich vorgenommen, die festgefahrenen Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien wieder in Schwung zu bringen. Bislang seien die Fortschritte zu langsam gewesen, sagte er...

Irlands Neu-Premier macht Druck

hip – Irlands frischgebackener Premierminister Micheál Martin (59) hat sich vorgenommen, die festgefahrenen Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien wieder in Schwung zu bringen. Bislang seien die Fortschritte zu langsam gewesen, sagte er der BBC. “Wir müssen alles tun, um Arbeitnehmer zu schützen, um Existenzen zu schützen und um das Wesen unserer Wirtschaft zu schützen”, sagte Martin. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier hatte zuletzt erneut von “wesentlichen Divergenzen” gesprochen, die einer Einigung im Wege stünden. Ein “No-Deal-Brexit oder ein suboptimaler Deal” hätten für Martin keinen Sinn. Darunter hätten die einfachen Menschen zu leiden, sagte er. Es sei im Interesse aller, ein “gutes, umfassendes Handelsabkommen” abzuschließen. Und: “Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.” Die Grüne Insel gehört zu den EU-Mitgliedsländern, die ein unkoordiniertes Herausfallen des Vereinigten Königreichs aus der Staatengemeinschaft am härtesten treffen würde. Wie Tony und GordonSeit Juni 1989 saß Martin schon im irischen Unterhaus (Dáil) und wäre fast als einziger Parteichef von Fianna Fáil in die Geschichte eingegangen, der es nicht zum Premierminister (Taoiseach) gebracht hat. Doch Ende Juni wurde er auf einer außerordentlichen Sitzung des Dáil zum Taoiseach gewählt. Die Wahl musste wegen der Distanzvorgaben zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie statt im Leinster House im Kongresszentrum von Dublin stattfinden. Der Nachfolger Leo Varadkars steht an der Spitze einer großen Koalition aus den beiden Parteien der Mitte – Fianna Fáil und Fine Gael – und den Grünen. Damit regieren die einstigen Rivalen des Bürgerkriegs erstmals miteinander. Im Dezember 2022 soll Martin (Fianna Fáil) das Amt wieder an Varadkar (Fine Gael) übergeben. Das Duo erinnere an Tony Blair und Gordon Brown, hieß es in den irischen Medien. Gentleman’s Agreements dieser Art seien oft das Papier nicht wert, auf dem sie ausformuliert wurden.Die “Irish Times” zog den Vergleich mit der Berliner Groko und verwies darauf, dass ähnliche Regierungen in Europa in der Regel länger als 900 Tage durchhielten. Dafür spricht, dass beide eine Koalition mit der linkspopulistischen Sinn Féin ausgeschlossen haben. Deren Erfolg in den Wahlen vom Februar hatte dafür gesorgt, dass die Republik im Süden der Grünen Insel nun erstmals in einem ganzen Jahrhundert über ein Dreiparteiensystem verfügt. Bislang waren nur Fine Gael und Fianna Fáil dazu in der Lage, eine Regierung anzuführen. Mary Lou McDonald, die Präsidentin von Sinn Féin, sprach von einer “Zweckehe”, um ihre Partei von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten. Die Grünen dienten dabei als “Feigenblatt”.Doch Martin hat nicht nur den Mut, Barnier und dem britischen Premierminister Boris Johnson Druck zu machen. Er trat auch den Nationalisten standhaft entgegen und schloss eine “unnötig spaltende” Volksabstimmung über die Grenze zwischen Nord und Süd aus. Zu den Forderungen von Sinn Féin gehört unter anderem ein Referendum in beiden Teilen der Insel über eine Vereinigung. Das Karfreitagsabkommen, das den Bürgerkrieg in Nordirland beendete, lässt diese Möglichkeit offen.Auch sonst ließ der Absolvent des University College Cork im Laufe seiner politischen Karriere kaum eine Kontroverse aus. Als Gesundheitsminister verbot er das Rauchen am Arbeitsplatz und modernisierte das Gesundheitswesen. Als Handelsminister schaffte er ein Gesetz ab, das es Einzelhändlern verbot, Ware unter Selbstkosten anzubieten. Er besuchte als erster irischer Minister das sozialistische Kuba. Als Außenminister kritisierte er die israelische Blockade des Gazastreifens. Wirkliche Größe zeigte Martin durch seinen Einsatz für die Opfer sexuellen Missbrauchs an Schulen, den viele gerne unter den Teppich gekehrt hätten, zumal es sich bei den Tätern um katholische Priester handelte. Er sorgte für eine Untersuchung, in deren Abschlussbericht die unzureichenden Ermittlungen der Polizei scharf kritisiert wurden.