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Italien - ein gespaltenes Land auch im Bildungswesen

In den Augen vieler Deutscher sind Italiener fröhlich, herzlich und feiern gern. Ein diametral anderes Bild vermittelt die jüngste der alljährlich erstellten Analysen des renommierten Meinungsforschungsinstituts Censis. Demnach haben die Italiener...

Italien - ein gespaltenes Land auch im Bildungswesen

In den Augen vieler Deutscher sind Italiener fröhlich, herzlich und feiern gern. Ein diametral anderes Bild vermittelt die jüngste der alljährlich erstellten Analysen des renommierten Meinungsforschungsinstituts Censis. Demnach haben die Italiener Angst, sind pessimistisch und fühlen sich gestresst. Die Hälfte der Befragten wünscht sich einen starken Mann an der Spitze, der keine Rücksicht auf ein Parlament nehmen muss. 69 % sind der Ansicht, ein sozialer Aufstieg sei kaum möglich.Die negative Einstellung spiegelt sich im Anlageverhalten wider. Über Jahrzehnte mehrten die Italiener ihr Vermögen durch den Kauf von Staatsanleihen. Nun haben sie auch das Vertrauen in die Bonds verloren. 61 % wollen keine mehr kaufen. Seit 2011 ging der Anteil der Italiener, die Staatsanleihen im Portfolio haben, von 60 % auf 47 % zurück – um 757 Mrd. Euro. Viele Bürger im Land horten Bargeld und haben ihr Vermögen in Sichteinlagen angelegt. Auch der Immobilienbesitz ist weit verbreitet.Der Pessimismus zeigt sich auch in den seit Jahren zurückgehenden Geburtenzahlen. Innerhalb von zehn Jahren sanken sie laut Statistikamt Insee um 140 000 auf per 2018 jetzt 439 747. Das sind 1,29 Kinder pro Frau. Nur im reichen Südtirol mit einem guten Betreuungsnetz ist die Zahl mit 1,72 deutlich höher. In Sardinien sind es dagegen nur 1,02 Kinder pro Frau.Die Aussichten dieser Neugeborenen in Italien sind nicht brillant. 500 000 Italiener haben dem Land in den letzten Jahren den Rücken gekehrt, die Hälfte davon waren junge Leute zwischen 15 und 34, oft die besser Ausgebildeten, die keine Perspektiven in Italien sehen.Insgesamt ist das Bildungsniveau erschreckend niedrig. Unter den 25- bis 29-Jährigen haben nur 27,6 % einen akademischen Bildungsabschluss. Im europäischen Durchschnitt sind es 40 %. Und die jüngste Pisa-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über den Leistungsstand der 15-Jährigen zeigt einen bedenklichen Trend. Gegenüber 2015 hat Italien zwei Plätze eingebüßt und ist auf Rang 20 unter den 28 untersuchten Ländern abgerutscht.Dahinter verbergen sich riesige Diskrepanzen. In Mathematik hat sich Italien verbessert, das Leseverständnis und die Leistungen in Naturwissenschaften sind dagegen dramatisch eingebrochen.Erschreckend sind vor allem die gewaltigen Unterschiede innerhalb des Landes. Der Nordwesten und Nordosten Italiens rangieren in Sachen Leseverständnis auf dem Niveau von Dänemark, Japan oder Deutschland. In Mathematik sind das Trentino und Südtirol sogar ganz vorn dabei – besser als Finnland. Doch schon in Mittelitalien sieht es traurig aus, und der Süden sowie die Inseln Sardinien und Sizilien sind ein Desaster. Die Leistungen liegen auf dem Niveau der Türkei oder der Ukraine. Nur einer von drei 15-Jährigen ist dort in der Lage, die wesentlichen Inhalte aus einem durchschnittlich schweren Text herauszufiltern. Und: Die soziale Herkunft ist ganz entscheidend für den Bildungsweg.Der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist von 9 % in der Nachkriegszeit auf nur noch 3,8% 2016 abgesunken. Bildungsforscher Riccardo Ricci beklagt zudem, dass die Mittel ineffizient ausgegeben werden.Der Internet-Konsum hat sich seit 2012 mehr als verdoppelt – auf mehr als vier Stunden pro Tag. Es wird kaum noch gelesen. Das aber ist ein Phänomen, das nicht nur die jungen Leute betrifft. Untersuchungen zufolge verfügen 28 % der 16- bis 65-Jährigen im Land über kaum Lesekompetenz. Im OECD-Durchschnitt sind es 15,5 %. Nicht einmal der Klassiker Pinocchio, nach der Bibel das am zweitmeisten übersetzte Buch weltweit, ist in Italiens Schulen Pflichtlektüre. Auch der Bildungseifer lässt zu wünschen übrig. Mehr als die Hälfte der Schüler hat in den zwei Wochen vor der Pisa-Untersuchung mindestens einen Tag blaugemacht.