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IWF: "Temporärer" Rücktritt mit Fragezeichen

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 4.7.2019 Nach acht Jahren an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat die frühere französische Finanzministerin Christine Lagarde (63) "temporär" ihr Amt niedergelegt. Die sorgfältig...

IWF: "Temporärer" Rücktritt mit Fragezeichen

Von Peter De Thier, WashingtonNach acht Jahren an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat die frühere französische Finanzministerin Christine Lagarde (63) “temporär” ihr Amt niedergelegt. Die sorgfältig gewählte Formulierung dokumentiert zum einen, was Insidern des IWF in Washington sehr wohl bekannt ist: Zwar dementierte Lagarde vergangenes Jahr noch energisch, dass sie Interesse an dem Spitzenjob bei der Europäischen Zentralbank (EZB) haben würde, sollte sich diese Möglichkeit ergeben. Gleichwohl würde die Juristin niemals ihren Job an der Spitze der internationalen Finanzierungsorganisation aufgeben, ohne dass eine aus ihrer Sicht attraktivere Position wie die EZB-Präsidentschaft in trockenen Tüchern ist. Wie auch 2011, als Lagardes in Ungnade gefallener Landsmann Dominique Strauss-Kahn das Handtuch werfen musste, wird der vorläufige Rücktritt jedenfalls eine heftige Diskussion darüber lostreten, ob Europäer ihren gewohnheitsrechtlichen Anspruch auf die IWF-Spitze weiterhin werden durchsetzen können.Als Favoriten werden in diesem frühen Stadium bekannte Namen genannt, etwa Frankreichs Notenbankpräsident François Villeroy de Galhau, Bundesbankpräsident Jens Weidmann oder der finnische Zentralbankchef Olli Rehn. Einige in den Reihen des Währungsfonds können sich sogar vorstellen, dass zwischen der EZB und dem IWF eine Art Tauschgeschäft vereinbart wird, Lagarde also nach Frankfurt geht, während Mario Draghi die Nachfolge der Französin in Washington antritt. Auch werden Schwellenländer ihr zunehmendes Gewicht im weltwirtschaftlichen Gefüge geltend machen wollen. In der Frage der Nachfolge von Strauss-Kahn waren Lagarde und der damalige mexikanische Notenbankchef Agustín Carstens Finalisten im Rennen um den Chefsessel.Viele hielten den angesehenen Ökonomen für den qualifizierteren Kandidaten. Auch argumentieren viele Experten, dass Schwellenländer, die schon seit geraumer Zeit über die Neuverteilung der IWF-Quoten ein größeres Mitspracherecht haben, einen Anspruch auf den Job des Managing Director erheben und durchsetzen können müssten.Eine ernsthafte Chance hatte Carstens gegen Lagarde damals aber nicht, und auch heute deutet nichts darauf hin, dass sich an dem europäischen Führungsanspruch rütteln lässt. Schon deswegen nicht, weil US-Präsident Donald Trump seinen Kandidaten David Malpass problemlos für den Top-Job bei der Schwesterorganisation Weltbank durchsetzen konnte.Im Gegenzug wird US-Finanzminister Steve Mnuchin, der als Einziger einen Länderanteil beim IWF verwaltet, der den USA eine Sperrminorität einräumt, sicherstellen, dass die Schwellenländer den Kürzeren ziehen. Gegen eine Quotenerhöhung dieser Staaten hatte er sich bereits gestemmt.Folglich wird Trumps oberster Kassenwart sich entweder auf die Seite der Europäer schlagen oder, wenn sein Chef entsprechende Anwandlungen haben sollte, womöglich sogar einen Amerikaner ins Gespräch bringen. Denkbar wäre etwa, dass Trump sich dafür starkmacht, dass der kommissarische IWF-Direktor David Lipton den Posten behält.Sollte Lagarde für die EZB-Spitze den Zuschlag bekommen, dann würde der IWF einerseits eine unermüdliche Vorkämpferin für Handelsliberalisierung, Armutsbekämpfung und den Abbau sozialer Ungleichgewichte verlieren. Zwischenzeitlich dürfte der Währungsfonds bei Lipton in guten Händen sein. Lipton begann seine Karriere als Volkswirt beim IWF. Nach dem Fall der Berliner Mauer arbeitete er unter der Ägide des Nationalökonomen Jeffrey Sachs als Wirtschaftsberater für Russland und Polen während deren Übergang zum Kapitalismus. Unter dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton war Lipton Staatssekretär im Finanzministerium für internationale Beziehungen und hatte eine Schlüsselrolle bei der Formulierung der US-Politik als Reaktion auf die asiatische Finanzkrise. Seit 2011 ist er die Nummer 2 beim IWF.