Juristischer Kuhhandel
Es sind schlechte Zeiten für Spaniens Justizwesen. Mehrere Wochen lang hielt der Oberste Gerichtshof die Banken und die Immobilienkäufer wegen seiner widersprüchlichen Urteile über die Nebenkosten bei Hypotheken in Atem, so sehr, dass sich der Vorsitzende des Tribunal Supremo, Carlos Lesmes, sogar öffentlich für das Chaos entschuldigte. Nun hat überraschend dessen designierter Nachfolger Manuel Marchena das Handtuch geschmissen, weil er die Debatte über die Politisierung der Justiz und im Konkreten seine Person nicht mehr ertragen konnte. Er sei kein Instrument “der einen oder der anderen politischen Option”, erklärte der Jurist am Dienstag.Marchena war der Kandidat, auf den sich die sozialistische Minderheitsregierung und die konservative Volkspartei im Rahmen des üblichen Postengeschachers in der Richterschaft verständigt hatten. Der Einfluss der großen führenden Parteien auf das Justizwesen ist nichts Neues, aber die Sensibilität der spanischen Gesellschaft hat sich geändert. Nach der Verfassung benennen der Senat und das Unterhaus jeweils zehn Mitglieder des Generaljustizrates (Consejo General del Poder Judicial, CGPJ), dem obersten Selbstverwaltungsorgan der spanischen Richterschaft. Dabei suchen sich die Parteien je nach den aktuellen Machtverhältnissen im Parlament ihnen ideologisch nahestehende Richter und Juristen aus, von denen sie im Gegenzug eine gewisse Dankbarkeit in Ausübung ihrer Tätigkeit erwarten. Die 20 Mitglieder des CGPJ wählen ihren Vorsitzenden, der gleichzeitig auch Präsident des Obersten Gerichtshofs ist.Doch die Sozialisten und Konservativen hatten bei der diesjährigen Neubesetzung des Generaljustizrats nicht einmal die formale Unabhängigkeit dieses Gremiums respektiert und Marchena zum Vorsitzenden erklärt, noch bevor die Namen der übrigen Mitglieder feststanden, die theoretisch nach eigenem Gutdünken den Präsidenten des CGPJ wählen. Die Kritik an diesem Kuhhandel fiel stärker aus als gewohnt, vielleicht weil der Ärger über die Hypothekengeschichte noch nachwirkte. Juristenverbände prangerten die Politisierung des Tribunal Supremo ebenso an wie die liberale Partei Ciudadanos, die davon abließ, eigene Kandidaten im CGPJ unterzubringen – im Gegensatz zur Linkskoalition Unidos Podemos.Die Aufregung über die Ernennung Marchenas war schon fast wieder verflogen, als am Montag eine Nachricht des Fraktionssprechers der Konservativen im Senat, Ignacio Cosidó, vom Online-Medium “El Español” veröffentlicht wurde. In einer Whatsapp an die Kollegen feierte der Senator den politischen Deal für den Obersten Gerichtshof als großen Erfolg – “das war ein meisterlicher Schachzug”. Cosidó, der früher einmal Chef der Nationalen Polizei gewesen war, hatte offensichtlich darauf vertraut, dass eine Nachricht an alle 146 Senatoren der Konservativen streng geheim bleiben würde. Denn er verwies auch auf den Umstand, dass Marchena die Strafgerichtskammer des Supremo leiten würde, wo diverse Fälle politischer Korruption verhandelt werden. In dieser Kammer beginnt demnächst jedoch auch der Großprozess gegen die Anführer der Separatisten in Katalonien, denen Rebellion und andere Vergehen im Zusammenhang mit der Unabhängigkeitserklärung im vergangenen Jahr angelastet werden. Für die “Independentistas” ist die Debatte über die Unabhängigkeit des Tribunal Supremo Wasser auf die Mühlen ihrer Version, wonach es sich um einen politischen Prozess handele und die inhaftierten Politiker “politische Gefangene” seien.Ministerpräsident Pedro Sánchez versuchte am Dienstag den Spieß einfach umzudrehen. Die Tatsache, dass Marchena wegen der Diskussion über seine Unabhängigkeit auf das Amt verzichte, sei doch Beweis dafür, dass die Auswahl richtig gewesen sei, sagte der Regierungschef. Wer nun den Supremo leiten wird, stand am Dienstag noch nicht fest. Auf den zukünftigen Präsidenten oder Präsidentin des Obersten Gerichtshof kommt eine schwere Aufgabe zu. Nach dem Eurobarometer stellen mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen und der Privatpersonen in Spanien die Unabhängigkeit des Supremo in Frage, deutlich mehr als der Durchschnitt in der Europäischen Union.