InterviewBoris Vujčić

„KI-Blase könnte Problem für die Geldpolitik werden“

EZB-Ratsmitglied Boris Vujčić deutet im Interview der Börsen-Zeitung an, dass er derzeit keinen Grund für eine weitere Zinssenkung sieht. Die Lage könnte sich jedoch ändern, wenn es zum Platzen einer KI-Blase kommen sollte. Vujčić äußert sich zudem zu den Gerüchten, er wolle EZB-Vizepräsident werden.

„KI-Blase könnte Problem für die Geldpolitik werden“

„KI-Blase könnte Problem für die Geldpolitik werden“

Im Interview: Boris Vujčić

EZB-Rat besorgt wegen hoher Konzentration von Investments auf nur einen Bereich – Projektionen für 2028 weniger relevant als kurzfristiger Ausblick

Herr Vujčić, Bulgarien wird am 1. Januar 2026 der Eurozone beitreten. Welche Schwierigkeiten gab es bei der Einführung des Euro in Kroatien im Jahr 2023?

Der Unterschied zwischen dem Beitritt Kroatiens oder Bulgariens zur Eurozone und dem Beitritt von Staaten vor der Eurokrise besteht darin, dass wir nicht nur die Maastricht-Kriterien erfüllen mussten. Jetzt haben wir zusätzliche Anforderungen wie Strukturreformen, zu denen auch die sogenannte close cooperation mit der EZB gehört. Das bedeutet im Grunde genommen, dass man vor dem Beitritt zur Eurozone der Europäischen Bankenaufsicht (SSM) beitreten muss. Eine Zentralbank muss vor der Einführung des Euro zudem in technischer Hinsicht viel Vorarbeit leisten. Die ganzen Vorarbeiten begannen fünfeinhalb Jahre vor dem Beitritt und waren für uns insgesamt ein zweijähriges Vollzeitprojekt. In unserem Fall hatten wir bei der Einführung des Euro noch eine besondere Schwierigkeit.

Worin bestand diese Schwierigkeit?

Kroatien war ein Sonderfall. Wir mussten im Frühjahr 2022 die Maastricht-Kriterien einschließlich der Inflationskriterien erfüllen. Dies war eine Zeit, in der die Inflation in Europa dramatisch anstieg, und in Mittel- und Osteuropa aus verschiedenen Gründen noch stärker. Obwohl Kroatien zuvor 25 Jahre lang eine niedrige Inflation hatte, hätten wir die Inflationskriterien beinahe nicht erfüllt. Wir hätten aufgrund der besonderen Umstände vielleicht eine Ausnahme von dieser Regel beantragen können. Aber es war besser, dass wir nicht in diese Situation geraten sind.

Wenn ein Land den Euro einführt, gibt es immer Leute, die sagen, dass dies zu mehr Inflation führt. War dies in Kroatien der Fall?

Da wir lange Zeit eine niedrige Inflation hatten und dann den Euro in einer Zeit mit hoher Inflation eingeführt haben, begannen die Menschen in Kroatien, die neue Währung für die hohen Preise verantwortlich zu machen. Das war eine wirklich schwierige Herausforderung in der öffentlichen Kommunikation. Leider denken die meisten Menschen immer noch so. Und das, obwohl es mehrere Studien zu diesem Thema gibt. Je nach Studie lag der Preisanstieg aufgrund der Euro-Einführung zwischen 0,2 und 0,4 Prozentpunkten. Das ist nicht viel in einer Zeit, in der die Inflation bei etwa 10% lag. In der Kommunikation hat es uns geholfen, dass wir eine niedrigere Inflation hatten als alle Nicht-Euro-Länder in Mittelosteuropa. Der Euro konnte also nicht der Grund für die hohe Inflation sein.

Wie hat sich die Einführung des Euro auf die wirtschaftliche Entwicklung Kroatiens ausgewirkt?

Kroatien profitiert auf jeden Fall davon. Der Euro hat die Wechselkursrisiken beseitigt. Was Einlagen und Schulden angeht, hatten wir einen sehr hohen Euro-Anteil. Das Wechselkursrisiko war recht hoch. Vor der Einführung des Euro hätte eine Abwertung unserer Währung um 10% im Grunde genommen einen Anstieg der Schulden in unser Landeswährung um ebenfalls 10% bedeutet. Weitere Vorteile waren niedrigere Zinssätze in Kroatien, und der Euro fördert auch den Tourismus, der ein wichtiger Wirtschaftszweig in Kroatien ist.

Boris Vujčić ist seit 2012 Gouverneur der kroatischen Notenbank. In dieser Position hatte er eine wichtige Rolle bei der Einführung des Euro in Kroatien im Jahr 2023. Seitdem ist der 61-jährige promovierte Ökonom auch Mitglied des EZB-Rats. Er gilt als einer der möglichen Kandidaten für die Nachfolge des EZB-Vizepräsidenten Luis de Guindos, dessen Amtszeit kommendes Jahr endet.

Ist es ein Nachteil, dass Kroatien nicht mehr allein für seine Geldpolitik zuständig ist? Kroatien muss nun gemeinsam mit vielen anderen Ländern den richtigen Kurs für die gesamte Eurozone finden.

Das ist ein theoretischer Nachteil. Wie ich bereits erwähnt habe, war ein hoher Anteil der Einlagen und Schulden in Euro. Deshalb haben wir den Wechselkurs zum Euro stabil gehalten. Dadurch konnten wir aber nicht mehr von der Geldpolitik der EZB abweichen. Andernfalls wäre der Wechselkurs nicht stabil geblieben. Theoretisch haben Sie also Recht, aber in der Praxis kann man nichts verlieren, was man nie hatte.

Ist es für die EZB ein Problem, dass die Inflation in den einzelnen Mitgliedsländern derzeit recht stark voneinander abweichen? Frankreich und Italien liegen deutlich unter 2%, während Kroatien beispielsweise bei 4% liegt.

Wir sind uns alle bewusst, dass es immer gewisse Abweichungen geben wird. In den letzten Jahren ist Kroatien beispielsweise viel schneller gewachsen als der Durchschnitt der Eurozone, das Lohnwachstum war viel höher, aber langfristig hat Kroatien seinen Konjunkturzyklus sehr gut an den der Eurozone angepasst. Ich würde sagen, dass wir uns insgesamt zyklisch allesamt in die gleiche Richtung bewegen. Daher denke ich, dass die aktuelle Geldpolitik für alle von Vorteil ist.

Ich habe kein bestimmtes Szenario für eine Zinssenkung oder Zinserhöhung im Kopf. Alles hängt von den Umständen ab.

Boris Vujčić

Besteht Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass die Geldpolitik der EZB eher für größere Volkswirtschaften passend ist als für kleinere?

Das würde ich nicht sagen. Es kommt darauf an, wie stark die jeweilige Volkswirtschaft an den Konjunkturzyklus der Eurozone angepasst ist. Und da die wichtigsten Handelspartner der europäischen Länder andere europäische Länder sind, gibt es eine große Konvergenz. 

Anfang November sagten Sie über die Geldpolitik der EZB: „Wir glauben, dass wir unsere Aufgabe erfüllt haben.“ Bedeutet dies, dass die EZB wahrscheinlich keine weiteren Zinssenkungen mehr vornehmen wird?

Wir haben unsere Aufgabe insofern erfüllt, als die Inflation nun bei etwa 2% liegt, ohne dass es zu einer Rezession in der Eurozone gekommen ist. Das wird heute als selbstverständlich angesehen, aber vor zwei Jahren befürchteten die meisten meiner Gesprächspartner, dass die geldpolitische Straffung zu einer Rezession führen würde. Andererseits kann ich auch sagen, dass die Arbeit einer Zentralbank natürlich immer eine fortlaufende Aufgabe ist. Aber derzeit befinden wir uns in einer guten Lage, die hoffentlich so lange wie möglich anhält.

Was müssen die Wirtschaftsdaten oder die Prognosen der EZB-Mitarbeiter im Dezember oder März zeigen, damit Sie eine weitere Zinssenkung befürworten?

Ich habe kein bestimmtes Szenario für eine Zinssenkung oder Zinserhöhung im Kopf. Alles hängt von den Umständen ab. Wir betrachten viele Faktoren, um die Inflationsaussichten und die Höhe der Leitzinsen zu bestimmen.

Sind die Auf- und Abwärtsrisiken für Inflation bzw. Wachstum derzeit gleich groß?

Meiner Ansicht nach sind sie gleich groß. Die Konjunktur war stärker als erwartet. Für das nächste Jahr prognostizieren wir zudem ein gesundes Wachstum. Die Inflation war ebenfalls etwas höher als erwartet, aber nur geringfügig. Wir sind nach wie vor gut darin, die Inflation zu prognostizieren. Und wir sind besonders gut darin, das Lohnwachstum zu prognostizieren, was für die Dienstleistungsinflation wichtig ist. Der Lohndruck dürfte weiterhin moderat bleiben, was zu einer Inflation in der Eurozone führen dürfte, die in etwa unserem Ziel entspricht.

Wenn man zwei oder drei Jahre vorausdenkt, hat man immer große Unsicherheiten. Wir sollten uns besser auf die nächsten zwölf Monate konzentrieren und sicherstellen, dass die Daten, die wir erhalten, mit unseren Prognosen übereinstimmen.

Boris Vujčić

Die EZB toleriert geringfügige und temporäre Abweichungen vom Inflationsziel von 2%. Wann ist die Abweichung so groß, dass die EZB ihre Geldpolitik anpasst?

Wir sollten nicht versuchen, die Inflation im Detail zu steuern. Wenn wir keinen anhaltenden Trend für einen Anstieg oder Rückgang der Inflation sehen, sollten wir die Zinssätze nicht ändern. Zu viel zu tun, würde nur unnötige Volatilität schaffen. Wie ich bereits sagte, befinden wir uns derzeit in einer guten Lage.

Die Dezember-Projektion der EZB wird erstmals Zahlen für 2028 enthalten. Wenn die Inflation laut Projektion drei Jahre in Folge unter 2% liegen würde, wäre dies dann eine anhaltende Abweichung vom Zielwert nach unten?

Wenn wir keine ausreichend große anhaltende Abweichung oder einen zunehmenden Abwärtstrend sehen, dann ist das in Ordnung. Wenn man zwei oder drei Jahre vorausdenkt, hat man immer große Unsicherheiten. Wir sollten uns besser auf die nächsten zwölf Monate konzentrieren und sicherstellen, dass die Daten, die wir erhalten, mit unseren Prognosen übereinstimmen. Wenn dies der Fall ist, ist alles in Ordnung.

Die aktuelle Projektion der EZB für das Jahr 2027 weist aufgrund der Einführung des EU-Emissionshandelssystems ETS2 eine höhere Inflation aus. Die Einführung wird nun jedoch wahrscheinlich von der EU verschoben. Hat dies Auswirkungen auf die Geldpolitik? 

Der genaue Zeitpunkt und die Ausgestaltung sind noch unklar. Wenn es sich nicht um einen großen Effekt handelt, ist dies ein Beispiel für etwas, das sich einmalig auf die Inflation auswirkt. Und wenn das so ist, sollten wir meiner Meinung nach nicht zu viel daraus machen.

Viele Menschen warnen derzeit davor, dass sich möglicherweise eine KI-Blase bildet. Wie sehen Sie das?

Das ist definitiv eines der Risiken, die wir sehr ernst nehmen müssen. Wenn die Vorteile und Erträge der KI hinter den Erwartungen zurückbleiben, könnte es zu einem Einbruch der Bewertungen an den Aktienmärkten kommen. Bei derart hohen Bewertungen wie derzeit, so hohen Investitionen in einem einzigen Sektor und einer derart hohen Risikokonzentration müssen wir sehr vorsichtig sein. Niemand kann sagen, was genau passieren wird, aber wir müssen sicherstellen, dass wir im Falle einer starken Korrektur an den Märkten über ein Finanzsystem verfügen, das widerstandsfähig genug ist, um den Schock zu verkraften. 

Könnte das Platzen einer KI-Blase zu einer Anpassung der EZB-Geldpolitik führen?

Das hängt davon ab, was genau passiert. Wenn es zu einem Schock in der Realwirtschaft käme, weil die Menschen Geld verlieren und ihren Konsum deshalb einschränken, könnte dies zu einem deutlich geringeren Wachstum und einer niedrigeren Inflation führen. In einem solchen Szenario wäre das Platzen einer KI-Blase nicht nur eine Gefahr für die Finanzstabilität, sondern auch ein Problem für die Geldpolitik.

Natürlich kann ich dieses Interview nicht beenden, ohne Sie auf die Gerüchte anzusprechen, dass Sie der nächste Vizepräsident der EZB werden wollen. Was sagen Sie dazu?

Der Prozess wird bald offiziell beginnen, und dann liegt es an den Regierungen, ihre Kandidaten zu nominieren. Ich bin nun seit 25 Jahren stellvertretender Gouverneur oder Gouverneur. Ich bin durch und durch Zentralbanker und möchte auch weiterhin in irgendeiner Form als Zentralbanker tätig sein.

Und allgemeiner: Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass Osteuropa nach den bevorstehenden Veränderungen bis Ende 2027 einen Sitz im Board der EZB hat?

Es ist eine Tatsache, dass Mittelosteuropa nie einen Sitz im Board der EZB hatte. Und es ist auch wahr, dass nach dem Beitritt Bulgariens zur Eurozone ein Drittel der Mitglieder des Euro-Währungsgebiets aus Mittelosteuropa stammen werden.


Das Interview im englischen Originalwortlaut finden Sie hier.

Das Interview führte Martin Pirkl.

Der kroatische EZB-Rat Boris Vujčić deutet im Interview der Börsen-Zeitung an, dass er derzeit keinen Grund für eine weitere Zinssenkung sieht. Die Lage könnte sich jedoch ändern, wenn es zum Platzen einer KI-Blase kommen sollte. Vujčić äußert sich zudem zu den Gerüchten, er wolle EZB-Vizepräsident werden.