NOTIERT IN SCHANGHAI

Kirschblütenpracht mitten im Herbst

Japans Regierungschef Shinzo Abe ist aus Peking wieder abgereist und hat reichlich gute Wünsche von Chinas Präsidenten Xi Jinping aus sowie Dutzende voluminöser Geschäftsdeals und Wirtschaftsabkommen im Gepäck. Der erste japanisch-chinesische Gipfel...

Kirschblütenpracht mitten im Herbst

Japans Regierungschef Shinzo Abe ist aus Peking wieder abgereist und hat reichlich gute Wünsche von Chinas Präsidenten Xi Jinping aus sowie Dutzende voluminöser Geschäftsdeals und Wirtschaftsabkommen im Gepäck. Der erste japanisch-chinesische Gipfel seit sieben Jahren wird auf beiden Seiten enthusiastisch gefeiert. Man mag sich wieder, weil man US-Präsident Donald Trump nicht mag. Die immer herzlichere Abneigung zu Trump lässt die beiden starken Männer in Asiens wirtschaftsstärksten Nationen die über Jahre gepflegte gegenseitige Abneigung vergessen und in einen Freundschaftsbund mit dem Gütesiegel pragmatisch, praktisch, gut umwandeln.Freilich sind wesentliche Reibungspunkte wie der Territorialstreit um eine winzige unbewohnte Inselgruppe – um nicht zu sagen Felsbrockenansammlung – und die Aufarbeitung der japanischen Besatzungszeit in China noch lange nicht ausgeräumt. Aber seit diesem Jahr gelingt es immer besser, so etwas wie eine bilaterale Alzheimerattitüde zu pflegen: Man bewahrt sich das historische Langzeitgedächtnis, um Auseinandersetzungen jüngeren Datums geflissentlich zu vergessen. Solange der Wüterich in Washington mit genügend handelspolitischen Gemeinheiten aufwartet, kann das zarte chinesisch-japanische Freundschaftspflänzchen weiter erstarken und gedeihen. *Interessant wird es bei der Frage, inwieweit die beiden leistungsfähigsten Volkswirtschaften Asiens im digitalen Zeitalter miteinander umzugehen gedenken und ob Japan von der US-Linie abschwenkt, um Chinas Vormarsch bei künstlicher Intelligenz, Robotertechnik, Telekominfrastruktur und vielem mehr zu beschränken. Schließlich sind Fragen des Schutzes von geistigem Eigentum ein Schmerzpunkt.Chinas wohl größte industrielle Heldentat in dieser Dekade und Quelle reichlichen Nationalstolzes ist ein landesumspannendes Hochgeschwindigkeitszugnetz. Es lässt die gleißenden Bullet Trains made in China nicht nur mit japanischer Pünktlichkeit auf über 20 000 Schienenkilometern fahren, sondern beruht auch auf einer Technik, die über Joint Ventures mit japanischen Zugbauern nach China kam, dann aber für den heimischen Eigenbau transferiert, um nicht zu sagen gemopst wurde. Seitdem begegnet man sich als Konkurrenten im Exportgeschäft von Bahntechnologie in Schwellenländern. Nun aber soll gemäß dem von Xi und Abe postulierten Motto für die “neue Ära” der Freundschaftsbeziehungen Rivalität in Kooperation umgemünzt werden, und das auch im Schienenverkehr. Den Beweis soll ein erstes Gemeinschaftsprojekt für die Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszugnetzen in Drittländern geben. Thailand darf den Anfang machen und wird zur Bühne für ein Pas de deux im Bahntechnologie-Ballett. *Für Chinas Verbraucher ist die nun offiziell besiegelte Détente in jedem Fall eine gute Nachricht. Auch standfeste Patrioten haben eine gute Ausrede, der großen, manchmal aber heimlichen Liebe zu japanischen Konsumprodukten zu frönen. Zum Thema Öffnung der Märkte haben die Japaner schon seit längerem einen simplen Vorschlag: Kauft mehr von unserem Reis. Xi hat dem Vernehmen nach wissen lassen, dass japanischer Reis doch besonders exquisit schmeckt, was als freundlicher Hinweis darauf gilt, dass man künftig bereit ist, mehr vom japanischen Edelgetreide, das bislang nur körnerweise ins Land durfte, zu importieren.Das dürfte auch chinesischen Japan-Touristen das Rückreisegepäck erleichtern. Diese pflegen sich in Duty-free-Shops zu Apothekenpreisen mit japanischen Reissäcken als begehrtem Mitbringsel einzudecken. Die in Schanghai allgegenwärtige Supermarktkette Lianhua hat nun auch das passende Geschirr im Sortiment. Pünktlich zum Wochenende ist ein rosa Reigen von hübschen Keramik-Reisschüsseln mit Sakura-Kirschblütenmotiv eingetroffen. Sie sind mit umgerechnet knapp fünf Euro pro Stück zwar nicht ganz billig, aber garantiert made in Japan und gehen weg wie die warmen Semmeln.