GastbeitragStreit um AR-Mandat

Kodex für Wirtschaftsweise überfällig

Die Wirtschaftsweisen müssen sich dringend einen Compliance und Government Kodex verpassen, um ihre Integrität und ihren Ruf zu schützen, fordert Klaus Fleischer, Professor an der Munich Business School.

Kodex für Wirtschaftsweise überfällig

Der Imageschaden und der Verlust an Integrität des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) ist nach den jüngsten Eskalationen, die mit der öffentlich ausgetragenen Rücktrittsforderung einer Kollegin ihren derzeitigen Höhepunkt erreicht hat, sehr hoch. Vier Mitglieder des SVR unter Führung der Vorsitzenden Monika Schnitzer haben das fünfte Mitglied Veronika Grimm per E-Mail aufgefordert „unweigerlich mögliche Interessenskonflikte“ im Zusammenhang mit der Annahme eines Aufsichtsratsmandats bei der Siemens Energy AG verwiesen.

Konfliktsituation

Die Versuche der Ratsvorsitzenden, Frau Schnitzer, den Aufsichtsratsvorsitzenden Joe Kaeser der Siemens Energy AG in den Entscheidungsprozess mit einzubinden, um Ratsmitglied Frau Grimm zum Verzicht eines der Doppelmandate zu bewegen, hatten keinen Erfolg gezeigt. Die zwischenzeitlich mit großer Mehrheit erfolgte Wahl durch die Hauptversammlung der Siemens Energy AG läutet vielmehr eine neue Verhärtung im Gremium ein.

Klaus Fleischer, Professor (em.) für Finanz- und Bankwirtschaft der Hochschule München. . Quelle: privat

Ohne auf die anhaltenden Querelen im Detail weiter einzugehen lässt sich festhalten, dass die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion teils oberflächlich und teils desavouierend geführt wird. Sachargumente verlieren an Bedeutung, indem erörtert wird, dass der Rat der Wirtschaftsweisen sich in einem Neid-Kampf befindet, einem professoralen Intrigenstadel gleiche und die Mitglieder gar in Opfer und Täter selektiert werden, einschließlich Mobbing-Verdacht. All dies beschädigt zunehmend die Reputation eines seit über sechzig Jahren effizient arbeitenden und eines der wichtigsten unabhängigen Beratungsgremien der Bundesregierung.

Aufgrund des offenen Schlagabtausches der Pro- und Contra-Argumente bricht ein lang schwelender Konflikt erneut aus. Infrage gestellt wird der gesetzlich verankerte Beratungsauftrag, der eine unabhängige und transparente Arbeitsweise fordert. Da eine absolute Neutralität eine Idealvorstellung bleibt, steht der Grad der Annäherung an Machbarkeit und an Sicherstellung der Neutralität der Wirtschaftswissenschaftler zur Diskussion.

Politische Einflussnahme

Bemerkenswert ist nicht nur der Schlagabtausch zwischen den Ratsmitgliedern, sondern auch die polarisierenden Statements seitens der Ampel-Koalition beispielsweise mit ihren rivalisierenden und nicht immer im Einklang stehenden Finanz- und Wirtschaftsministerium und Kanzleramt. Hier wächst die Gefahr einer Instrumentalisierung, dass der SVR politisch beeinflusst werden könnte und zum politischen Spielball abzusinken droht.

Dabei ist der Kern des Streits nicht neu. Frau Grimm rechtfertigt eine Annahme des Aufsichtsratsmandates mit strenger Gesetzesauslegung, die keine Einschränkung bis dato vorsieht, und mit der in der Vergangenheit gelebten Praxis. Sie verweist zu Recht auf Präzedenzfälle in der Ausübung von Aufsichtsratsmandaten von Ratsmitgliedern. Toleriert wurden Doppelmandate durch ein Gentlemen's Agreement. Potenzielle Interessenskonflikte bei sich überschneidenden Themen im Gremium wurden durch Stimmenthaltungen der betroffenen Ratsmitglieder geregelt.

Veränderte Rahmenbedingungen

Diese Vorgehensweise mag sehr wohl in der Vergangenheit, je nach speziellem Anwendungsfall, praktikabel gewesen sein. Bedenken bestehen allerdings hinsichtlich der Übertragbarkeit auf das derzeit alles beherrschende Konfliktthema „Grüne Energiewende“. Gerade hier lässt sich die Thematik schwerlich lokal beschränken, sie stellt vielmehr eine gesamtwirtschaftliche Herausforderung dar, die sich durch sämtliche Wirtschaftsbereiche horizontal durchsetzt. Hinzu kommt, dass die Vergütung von besagtem Aufsichtsmandat von einem zentral für die Energiewende operierenden Unternehmen stammt, das milliardenschwere Staatshilfen in Anspruch nimmt und auf staatliche Großaufträge hofft. Hier zeichnet sich eine schwer begehbare Praxis ab, dass künftig bei einer anzuzweifelnden Unabhängigkeit eines Ratsmitgliedes es nicht zu extern beeinflussten Unwertbeiträgen kommen kann.  

Verlängerung für Gewerkschaftsweisen

Trotz diesem sich abzeichnenden Konfliktpotenzial und just in der heißen Diskussionsphase beschließt die Bundesregierung die Verlängerung der Amtszeit von Ratsmitglied Truger um weitere fünf Jahre bei kommentarloser Akzeptanz der Gewerkschaftsrolle beim Vorschlag seiner Ratstätigkeit.

Auch der Erhalt der bislang praktizierten und gesetzlich verankerten Weisungsungebundenheit des Staates gegenüber den Wirtschaftsweisen darf keinesfalls verwässert werden. Ansonsten entsteht der Verdacht, dass unliebsam gewordene Ratsmitglieder durch Aufbau öffentlichen Drucks geschwächt werden, mit dem Ziel eines freiwilligen Ausscheidens.

Verhaltenskodex angebracht

Mit der Zunahme der Sensibilität im Umfeld Compliance und Governance-Kodex scheint in Anbetracht der Entwicklungen im SVR ein Umdenken angebracht. Im Vordergrund sollte die Bemühung um möglichst hohe Unabhängigkeit neu überdacht und durch geeignete Maßnahmen gefestigt werden.

Mit Blick auf große Defizite institutioneller Wohlverhaltensregeln im Bereich Public Governance ist die Forderung und Zusicherung der Ratsmitglieder, möglichst schnell eine neue überarbeitete Geschäftsordnung mit klaren Transparenz- und Compliance-Regeln auf den Weg zu bringen, zu begrüßen. Allerdings stellt sich die Frage nach der Befangenheit, wenn der SVR in Eigenverantwortung die neuen Regeln erstellt. Gleiches gilt für die Schaffung von SVR-Kodex-Regeln.

Allerdings lassen sich bei der Gestaltung sicherlich aus den Bereichen Public Governance und Monopolkommission Inhalte übernehmen.

Lösungsansatz

Um permanente Interessenskonflikte objektiv lösen zu können, sollte zeitnah die Verabschiedung der überarbeiteten Geschäftsordnung und eines SVR-Kodex erfolgen. Parallel hierzu ist der längere Weg einer gesetzlichen Erweiterung zu begehen, indem der bestehende § 3 des Gesetzes zum Sachverständigenrat vom 14. August 1963 um klare Vorgaben zur Thematik von Doppelmandaten zu erweitern ist.

Im vorliegenden Fall Lex Grimm wäre es deshalb empfehlenswert, wenn das Ratsmandat bis zur Verabschiedung und gesicherten Auslegung der neuen Regeln ruhen würde. Im Vordergrund steht das Wohlverhalten, die Objektivität und Integrität des SVR.  Die Beratung der Wirtschaftsweisen muss auch künftig in allen Fragen werturteilsfrei bleiben.

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