EU-Stabilitätspakt

Kritik an Europas reformierten Schuldenregeln

Nach langem Ringen haben sich die europäischen Finanzminister auf neue Schuldenregeln geeinigt. Stark verschuldete Ländern bekommen mehr Zeit, um ihre Defizite abzubauen. Investitionen und Strukturreformen werden mit lockereren Vorgaben honoriert.

Kritik an Europas reformierten Schuldenregeln

EU-Schuldenregel provoziert Kritik

Investitionen und Zinsen werden ausgenommen – Mehr Zeit für hochverschuldete Länder – Brüssel in starker Rolle

Nach langem Ringen haben sich die europäischen Finanzminister auf neue Schuldenregeln geeinigt. Stark verschuldete Ländern haben mehr Zeit, um ihre Defizite abzubauen. Investitionen und Strukturreformen werden mit lockereren Vorgaben honoriert. Kritik kommt aus der deutschen Wirtschaft, aber auch aus Frankreich.

wf/wü/bl Berlin/Paris/Mailand

Die Einigung über die europäischen Schuldenregeln hat Kritik ausgelöst – nicht nur in Deutschland. Sorge macht hierzulande vor allem die neue Flexibilität der Regeln und der starke Einfluss der EU-Kommission. "Die Gefahr ist groß, dass die vielerorts gefeierte Flexibilität beim Schuldenabbau missbraucht wird, um neue Schulden anzuhäufen", erklärte die Präsidentin der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann. Es sei ein Fehler, dass weiterhin allein die EU-Kommission über die Einhaltung der neuen Regeln wache. Sie sei 20 Jahre lang daran gescheitert. Der Wirtschaftsrat der CDU dringt auf Nachbesserungen in den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament. Generalsekretär Wolfgang Steiger forderte verbindliche Schuldenabbauregeln statt eines "politischen Geschacheres" mit der EU-Kommission. Maximal sieben Jahre für die Rückkehr auf den Schuldenabbaupfad seien zu lang. Zudem kritisiert der Wirtschaftsrat die Ausnahmen: Ausgaben für Verteidigung oder Klimaschutz steigerten nicht das Wertschöpfungspotenzial und dürften keinesfalls über Schulden finanziert werden.

Alle hätten das für sie Wichtigste wahren können, da der Rahmen der Regeln quasi unverändert geblieben sei, findet Xavier Timbeau vom Wirtschaftsforschungsinstitut Observatoire français des conjonctures économiques (OFCE). Deutschland bekomme Regeln und Frankreich könne sich mehr verschulden. Viel hänge jetzt davon ab, wie Brüssel den Pakt nun anwende. Frankreich dürfte gefallen, dass die neuen Regeln die Möglichkeit böten, zu verhandeln. Timbeau fürchtet jedoch, dass die Regeln nicht klar genug seien.  

Deutschland und Frankreich hatten durch ihre Einigung den Weg für die neuen Schuldenregeln in Europa geebnet. Minister Christian Lindner (FDP) sieht die Stabilitätskultur gestärkt. "Es gibt klare Zahlen für niedrigere Haushaltsdefizite und eine Reduzierung der Staatsverschuldung", erklärte er. Zudem gebe es klare Anreize für Strukturreformen und für Investitionen. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte: „Zum ersten Mal wird dieser Pakt die Investitionsanstrengungen der Staaten zugunsten der Dekarbonisierung und der Verteidigung anerkennen.“ Rom hatte bis zum Schluss offengelassen, ob es der Reform zustimmt. Das Ja erfolgte schließlich, weil Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti und Premierministerin Giorgia Meloni die neue Regelung als Fortschritt gegenüber dem alten Pakt sehen. Besonders ins Gewicht fiel für Rom, dass Zinsen und Investitionen des europäischen Wiederaufbauprogramms NextGeneration nicht angerechnet werden.

Auf Drängen Deutschlands werden auch im reformierten Pakt die bisherigen Referenzwerte von 3% für das Defizit und 60% für die Schuldenquote zum Bruttoinlandsprodukt beibehalten. Die 3% werden allerdings als zulässige Obergrenze klassifiziert. Die Zielmarke liegt bei strukturell 1,5% Defizitquote. Mit diesem "deficit safeguard" soll ein Sicherheitsabstand für Konjunkturschwankungen geschaffen werden. Beim Überschreiten der 3-Prozent-Defizitmarke bleibt es beim bisherigen Defizitverfahren. Die EU-Kommission hat gleichwohl einen Ermessensspielraum für 2025 bis 2027 wegen der steigenden Zinsbelastung. Einen Automatismus bei Sanktionen oder dem Defzitverfahren gibt es indessen nicht.

Strenge Regeln entfallen

Hochverschuldete oder hochdefizitäre Staaten müssen Brüssel künftig einen eigenen Plan vorlegen, um Schuldenstand und Defizite innerhalb von vier Jahren zu verbessern. Angesetzt wird künftig bei den Primärausgaben – also Ausgaben ohne Zinsen. In Ausnahmefällen gilt eine Frist von sieben Jahren, wenn im Gegenzug Investitionen getätigt oder Strukturen reformiert werden. Länder mit hohen Schulden müssen schneller vorangehen als die geringer verschuldeten. Die bisherige strengere Abbauregelung von 1/20 der Schulden über der 60-Prozent-Marke entfällt.

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