NOTIERT IN LONDON

Lob der kleinen Dinge

Kulturpessimismus hat viele Gesichter. Ob nun davor gewarnt wird, dass wir alle in unserem Plastikmüll ersticken werden, Ängste vor einer Islamisierung Europas oder den Auswirkungen des rasanten Wachstums der Weltbevölkerung geschürt werden: Meist...

Lob der kleinen Dinge

Kulturpessimismus hat viele Gesichter. Ob nun davor gewarnt wird, dass wir alle in unserem Plastikmüll ersticken werden, Ängste vor einer Islamisierung Europas oder den Auswirkungen des rasanten Wachstums der Weltbevölkerung geschürt werden: Meist sind es in die Jahre gekommene Männer, die glauben, dass die Menschheit dem sicheren Untergang entgegengeht, weil diese ihre Weisheiten einfach nicht hören will. Daran hat sich nicht viel geändert, seit Oswald Spengler in der Zwischenkriegszeit den Untergang des Abendlands beschwor. Umso größer muss die Freude bei der britischen Nichtregierungsorganisation Population Matters gewesen sein, dass sie die US-Rennfahrerin Leilani Münter als Schirmherrin gewinnen konnte. Der nicht mehr ganz so junge Tierfilmer David Attenborough und der bereits betagte Futurologe James Lovelock, dem zufolge die Welt auf Dauer nicht mehr als eine Milliarde Menschen ertragen kann, befinden sich ebenfalls unter den Förderern der Vereinigung, die sich die weltweite Senkung der Geburtenraten auf die Fahnen geschrieben hat. Ob es sich um auf den Menschen zurückzuführende Probleme wie den Klimawandel, die Versauerung der Ozeane, das Artensterben oder den Verlust von Biodiversität handelt – das Bevölkerungswachstum verschlimmere sie alle, sagt Münter, die für jedes Rennen, das sie fährt, einen Morgen Regenwald adoptiert. Ihr Motto: Unterschätze nie ein Hippie-Mädchen mit einem Rennwagen. Natürlich lebt sie vegan, fährt Tesla und hat Solarpanels auf dem Dach. Während ihres Studiums an der University of California in San Diego habe sie beschlossen, keine Kinder zu haben, nachdem ihr Biochemie-Dozent den Studenten einen Film über das Wachstum der Weltbevölkerung gezeigt hatte. Sie würde sich wünschen, dass sich mehr Menschen dafür entschieden, kinderlos zu bleiben. Tatsächlich spricht nichts dagegen, Frauen Zugang zu Bildung und Empfängnisverhütungsmitteln zu verschaffen. Auch die Idee, weniger zu kaufen und zu konsumieren, hört sich zunächst sympathisch an. Das Gründungsmitglied Jack Parsons, eine Art Wiedergänger des Nationalökonomen Thomas Malthus, entwickelte allerdings wilde Verschwörungstheorien, die sich unter anderem in seinem Werk “Der Verrat der BBC” wiederfinden: Darin wirft er dem öffentlich-rechtlichen Sender vor, das Problem der Überbevölkerung systematisch auszublenden. Am Ende droht eben immer die Apokalypse – da mag der Himmel über der Ruhr noch so blau geworden sein. Und dass sich unzählige Warnungen vor dem Weltuntergang bereits als so surreal erwiesen haben wie die vom Club of Rome aufgestellten “Grenzen des Wachstums”, spielt auch keine große Rolle. Münter kann man ihr Engagement ebenso wenig zum Vorwurf machen wie Attenborough. Vermutlich wollen sie dem Planeten einfach etwas Gutes tun. Aber geht es nicht auch eine Nummer kleiner? *Seit kurzem gibt es im Pub um die Ecke nur noch Papierstrohhalme. Keine große Sache, aber besser für die Meerestiere, sagt die Bedienung. Der Krieg gegen den Plastikmüll ist in vollem Gange. Die Einführung einer Abgabe von 5 Pence auf Einkaufstüten hat die Zahl der verwendeten Plastiktüten um vier Fünftel gedrückt. Theresa May will nun Trinkhalme, Rührstäbchen und Wattestäbchen aus Plastik verbieten. Das britische Parlament will auf die Verwendung von Einwegbesteck, -bechern, -flaschen etc. verzichten. Dort arbeiten neben 650 Unterhaus- und 800 Oberhausabgeordneten auch rund 2 500 Mitarbeiter. Zudem verzeichnet der Westminster-Palast jährlich rund eine Million Besucher. Ihnen soll künftig ein Obolus von 25 Pence für einen kompostierbaren Kaffeebecher abverlangt werden.Und auch die Privatwirtschaft macht Fortschritte: Die Kaffeehauskette Costa Coffee will mittelfristig bis zu 500 Millionen Kaffeebecher pro Jahr recyceln, was in etwa ihrem Verbrauch entspricht. In diesem Jahr sollen es bereits 100 Millionen sein. Wer einen Mehrwegbecher mitbringt, bekommt 25 Pence Nachlass. Die Nobelsupermarktkette Waitrose will Einwegbecher ganz aus ihren Niederlassungen verbannen. Revolutionär oder sexy ist das alles nicht, aber dafür bessert sich ganz konkret etwas.