Löhne rücken in Fokus der Inflationsdebatte
rec/ms Frankfurt
Die Lohnpolitik rückt zusehends ins Zentrum der Debatte über Inflationsrisiken. Während in den USA hohe Lohnzuwächse Sorgen vor schneller steigenden Zinsen schüren, sorgen die Aussichten an Europas Arbeitsmärkten für Debatten zwischen der Europäischen Zentralbank (EZB) und Ökonomen. Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding äußerte bei einer Veranstaltung des Bankenverbands BdB und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Zweifel, dass die Inflation wie von der EZB erwartet 2024 auf 1,8% sinkt. Er begründete dies mit einer Reihe von Faktoren – allen voran der Erwartung allmählicher Lohnzuwächse auf breiter Front. IW-Chef Michael Hüther ergänzte, es seien „fundamentale Veränderungen am Arbeitsmarkt“ im Gange.
Angesichts der auf 5% gestiegenen Inflation mehren sich Erwartungen an eine Zinserhöhung in diesem Jahr. Der BdB und immer mehr Beobachter dringen darauf, die Märkte preisen sie bereits ein. EZB-Chefin Christine Lagarde hat einer baldigen Zinswende jedoch eine Absage erteilt und die EZB dabei auch von ihrem US-Pendant abgegrenzt: „Wir haben allen Grund, nicht so schnell und rabiat vorzugehen, wie man es sich bei der Fed vorstellen kann.“
Bei der Veranstaltung von BdB und IW untermauerte EZB-Direktor Frank Smets nun die Haltung der EZB. Der Arbeitsmarkt in der Eurozone habe sich nicht vollständig von der Coronakrise erholt. Das bremse das Lohnwachstum. Ziehe es in den nächsten Jahren auf 3% an, sei dies gerade hinreichend, um die Inflation am EZB-Ziel von 2% zu verankern, weil zugleich die Produktivität zunehme. Schmieding, Hüther, BdB-Chef Christian Ossig und EU-Parlamentarierin Danuta Hübner rieten der EZB hingegen zu Vorsicht. Der Jobmarkt in Euroland bewege sich zwar langsamer als in den USA, „aber er reagiert“, sagte Schmieding. Die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern und Gewerkschaften steige. Deshalb werde der Lohndruck sukzessive zulegen. Hüther verwies auf die Alterung der Gesellschaft und den zunehmenden Fachkräftemangel auf allen Qualifikationsstufen: „Die Lohndrift in Deutschland ist bereits positiv.“ Weitere preistreibende Faktoren wie die Klimawende mit höheren CO2– und Energiepreisen und der 750 Mrd. Euro schwere EU-Wiederaufbaufonds kamen zur Sprache. Die EU-Abgeordnete Hübner konstatierte: „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sind wir mit einem vielschichtigen Inflationsdruck konfrontiert.“
IWF warnt
Die hartnäckig hohe Inflation schürt längst auch Sorgen, dass die Welt in ein neues Inflationsregime steuert, mit dauerhaft deutlich mehr Inflation. Mitunter werden sogar Vergleiche zur Inflationsära in den 1970er Jahren gezogen. IWF-Kapitalmarktchef Tobias Adrian hatte diese Sorgen im Interview der Börsen-Zeitung zurückgewiesen. Zugleich hatte er aber gewarnt, dass es stark darauf ankomme, dass die Geldpolitik jetzt richtig auf die Inflation reagiert und rechtzeitig gegensteuert (vgl. BZ vom 22. Januar).
Inzwischen richten sich die Sorgen in Sachen Inflation aber immer stärker auch auf die Folgen für die Konjunktur. Neben den Konsequenzen höherer Kosten für die Unternehmen geht es insbesondere um die Folgen für den Konsum. Die hohe Inflation und vor allem die rasant gestiegenen Energiekosten schmälern die Kaufkraft der Haushalte deutlich. Das könnte den Konsum belasten. Dieser gilt aber gerade als Hoffnungsträger für den Aufschwung nach Überwinden der Pandemie – zumal die Haushalte in der Krise deutlich mehr gespart haben als sonst.