Man sieht sich
Na klar, auch im Frankfurter Bankenviertel findet der weit überwiegende Teil der Veranstaltungen und Zusammenkünfte nach wie vor nicht in Konferenzräumen oder Tagungssälen statt, sondern via Teams, Webex oder Zoom. Immerhin: Es gibt wieder erste Einladungen für Treffen IRL – “in real life”. Diese vorsichtige und ganz langsame Rückkehr zur Präsenzveranstaltung – oder zumindest zu hybriden Formaten mit Dialogen offline und online – wird von vielen mit Erleichterung zur Kenntnis genommen. Schließlich sind längst nicht alle Beteiligten überzeugt, dass Netzwerken im Netz die Plauderei im Foyer tatsächlich ersetzen kann. * Aber Obacht: Die Treffen im richtigen Leben folgen heutzutage natürlich ganz anderen Regeln als in der alten Welt vor Corona. So hat ein “voll besetzter” Tagungsraum dieser Tage wenig mit gutbesuchten Konferenzen vergangener Jahre zu tun, als allein die Körperwärme der vielen Anwesenden die Raumtemperatur um mehrere Grad steigen ließ. Heute dürfte mancher, wenn er an Präsenzveranstaltungen teilnimmt, an Abiturprüfungen in der Aula oder Staatsexamensprüfungen in großen Hörsälen erinnert werden. Oder um es mit Ephraim Kishon zu sagen: Man fühlt sich so weit weg von den anderen wie Israel im Weltsicherheitsrat. Denn da die hessischen Vorgaben für die Gastronomie einen Mindestabstand von 1,50 Metern in alle Richtungen vorsehen, sind selbst in turnhallengroßen Hotelkonferenzräumen nicht mehr als 50 oder 60 Gäste zulässig. Zieht man davon noch Techniker, Veranstalter und Festredner ab, nähert sich das Ganze dem Charakter eines Klassentreffens – nur, dass in Coronazeiten der informelle Austausch strengen Vorgaben unterliegt. Wer Stuhl oder Gesprächspartner wechseln möchte, hat es schwer. Es sei denn, die Veranstalter haben sich dafür ein pfiffiges Verfahren ausgedacht – wie unlängst die HSBC. Die brachte Journalisten wie beim Speed Dating jeweils für einige Minuten mit einzelnen Investmentbankern zusammen – in Zweier-Sitzgruppen auf der Terrasse der Kameha Suite an der Taunusanlage, also unter freiem Himmel. Die Finanzredakteure fanden das Format prima, konnten sie sich – den Abstandsregeln sei Dank – in Ruhe one-to-one mit den Bankern austauschen.Dass derzeit manche Begegnung open-air stattfindet, erleichtert die Einhaltung der Hygieneregeln, auch wenn der Grund dafür nicht unbedingt Corona ist. Vielmehr ist es in den Wochen mit niedriger Regenwahrscheinlichkeit seit alters Tradition, dass Bankenverbände, Börsen und andere Mitglieder der Finanzgemeinde den Banken aufs Dach steigen, um vom Blick auf die Skyline zu profitieren.Die Zahl der Banker, denen man im echten Leben begegnet, steigt also wieder – wenngleich sehr gemächlich. Wobei man längst nicht jeden gleich erkennt – insbesondere dort, wo Mund und Nase bedeckt werden. Denn mit Schutzmaske vor dem Gesicht ist das doppelt schwierig. Der Abschiedsgruß “Man sieht sich” ist und bleibt vor diesem Hintergrund im Frankfurter Bankenviertel bis auf Weiteres ein Hoffnungswert.