Mangelnder Sachverstand ganz oben
Das erlebt man ausgesprochen selten: Jemand übt sehr deutliche Kritik an US-Präsident Donald Trump, doch anstatt auf Twitter zum Keulenschlag auszuholen, hüllt sich der Präsident in Schweigen. Keine Geringere als die ehemalige US-Notenbankchefin Janet Yellen machte in Washington Furore, als sie in einem Hörfunkinterview ausführlich zum mangelnden ökonomischen Sachverstand des 45. Präsidenten Stellung nahm.Verwunderlich waren die Aussagen zum einen deswegen, weil die eher medienscheue Yellen selten Interviews gibt. Ist die frühere Fed-Vorsitzende aber ausnahmsweise zu einem Gespräch bereit, ist noch schwerer vorstellbar, dass sie auf Konfrontationskurs geht und ausgerechnet den mächtigsten Mann im Lande ins Visier nimmt.Darauf angesprochen, ob Trump im weitesten Sinne des Wortes Wirtschaftspolitik verstehe, antwortete Notenbankchef Jerome Powells unmittelbare Vorgängerin unumwunden “Nein, das glaube ich nicht”. Dann wurde sie konkreter: “Ich glaube nicht einmal, dass er imstande wäre, zu sagen, dass die Ziele der Fed Vollbeschäftigung und Preisstabilität sind”, gab sie zum Besten.Wie sie denn wissen könne, ob Trump jemals etwas vom dualen Mandat der Notenbank gehört habe? Diese Vermutung liege deswegen nahe, sagte Yellen, weil der Präsident in der Vergangenheit schon mehrmals sein Verständnis der Prioritäten der Währungshüter artikuliert habe. Etwa, dass die Federal Reserve ein konkretes Wechselkursziel verfolge, um Trumps Handelspolitik zu stützen. Oder, dass die US-Handelsbilanz beziehungsweise der Abbau des Außenhandelsdefizits eine Zielgröße sein sollte, an welcher die US-Zentralbank ihre Geldpolitik ausrichtet.In Aussagen wie diesen spiegele sich eben die Tatsache wider, dass eine Person weder die Ziele der Geldpolitik begreife noch verstehe, welche Folgen die Fed-Politik für die Wirtschaft habe, lautete Yellens messerscharfe Schlussfolgerung. Dann legt sie noch nach und wies darauf hin, dass Trumps häufige Kritik an der Zentralbank deren Arbeit erheblich erschwere.Nicht verkneifen konnte sich ein Mitglied des Bankenausschusses im US-Repräsentantenhauses die Frage an Powell, was er von den Ausführungen seiner Amtsvorgängerin halte. Doch Powell, der gerade den halbjährlichen geldpolitischen Bericht der Fed vorgelegt hatte, ließ sich nicht aus der Reserve locken und bewies stattdessen diplomatisches Geschick: Der Fed-Vorsitzende, wegen der 2018 beschlossenen Zinserhöhungen selbst immer wieder eine Zielscheibe der Trumpschen Kritik, schwieg sich aus.Experten spekulierten prompt, was denn die sonst zurückhaltende Yellen zu so kritischer Rede animiert haben könnte. Einige meinen, sie habe lediglich aus aufrichtiger Überzeugung und wegen möglicher Sorgen um die politische Unabhängigkeit der Notenbank ihre Ansicht zu Protokoll gegeben. Andere weisen nicht zu Unrecht darauf hin, dass sie mit einer zweiten Amtsperiode geliebäugelt habe und lange Zeit die Hoffnung hegte, dass der Präsident sie für weitere vier Jahre an der Spitze der Fed nominieren würde.Das erwies sich aber aus mehreren Gründen als Wunschdenken. Zum einen hatte die Notenbank unter Yellens Führung während Trumps erstem Jahr im Amt dreimal an der Zinsschraube gedreht, was Trump sichtlich irritierte und zu unverblümter Kritik an der Zentralbankchefin führte. Dass er sie während der Amtszeit Barack Obamas angegriffen hatte, weil sie angeblich die Zinsen bewusst niedrig halte, um im Wahljahr demokratischen Kandidaten zu helfen, dürfte dem Präsidenten entfallen sein.Ebenso wichtig wie die monetären Straffungen dürfte aus der Sicht des immer auf Äußerlichkeiten bedachten Präsidenten aber gewesen sein, dass er die Nationalökonomin mit einer Körpergröße von 1,58 Meter für “zu klein” hielt, um eine so mächtige Institution wie die US-Notenbank zu leiten. Von seinen Ökonomen sowie anderen Beratern wollte Trump wissen, ob sie diese Einschätzung teilen. So oder so: Eine zweite Amtsperiode hat sie nicht bekommen, und ob das Interview eine Retourkutsche war oder nicht, immerhin weiß man jetzt, was die ehemals mächtigste Notenbankerin der Welt von ihrem Präsidenten hält.