NOTIERT IN BRÜSSEL

Mehr Transparenz wagen

Wer schon immer einmal gerne einen EU-Kommissar in einer Achterbahnbahn sehen wollte, für den empfiehlt sich aktuell die ZDF-Mediathek. Das "Morgenmagazin" begleitete nämlich in einem in dieser Woche ausgestrahlten Beitrag Günther Oettinger und...

Mehr Transparenz wagen

Wer schon immer einmal gerne einen EU-Kommissar in einer Achterbahnbahn sehen wollte, für den empfiehlt sich aktuell die ZDF-Mediathek. Das “Morgenmagazin” begleitete nämlich in einem in dieser Woche ausgestrahlten Beitrag Günther Oettinger und seinen Sohn Alexander in den Europapark Rust in der Nähe von Freiburg. Nach den Loopings und einigen persönlichen Anekdoten drehte sich das Gespräch mit dem Digitalkommissar dann irgendwann auch um die EU (“Das Projekt Europa ist in Lebensgefahr”) und den Umgang mit den Tausenden von Lobbyisten in Brüssel. Oettinger unterschied zwischen Interessenvertretern, die “berechtigte Anliegen” vorbringen wollten, und denen, die nur auf ihren eigenen Vorteil erpicht seien. Um damit umgehen zu können, sei “Menschenkenntnis” nötig, so der CDU-Politiker. Außerdem dürfe man Entscheidungen nie allein treffen. *Doch reichen Menschenkenntnis und ein Vieraugenprinzip wirklich aus, um sich gegen unerwünschte Einflussnahme zu wehren? Das Misstrauen vieler Bürger ist groß. Und die jüngsten Schlagzeilen um die Tätigkeiten der früheren Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes in der freien Wirtschaft und um Ex-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der jetzt für Goldman Sachs unterwegs ist, haben sicherlich nicht geholfen, dies zu ändern. Jean-Claude Juncker hat seinen Vorgänger Barroso mittlerweile offiziell als Lobbyisten eingestuft, was den Portugiesen einige Privilegien gekostet hat. Will er heute ins Kommissionsgebäude, muss er etwa die gleichen Sicherheitschecks über sich ergehen lassen wie jeder andere Interessenvertreter auch. Und seine Treffen mit den Entscheidungsträgern aus der Kommission werden künftig im Internet öffentlich gemacht. *Diese Veröffentlichungen gibt es seit Dezember 2014. Die Juncker-Kommission hatte sich von Anfang an auf ihre Fahnen geschrieben, mehr Transparenz in die politische Willensbildung der EU zu bringen. Barroso, Kroes & Co zeigten nun einmal mehr, was für eine Bedeutung dieser Fokus habe, heißt es in Brüssel.Fortschritte soll jetzt ein verbindliches Transparenzregister bringen. Dieses soll einem neuen Vorschlag aus dem Hause Juncker zufolge für alle drei EU-Organe gelten, also Kommission, Parlament und auch für die Vertretung der Mitgliedstaaten, den Rat. Seit 2011 gibt es zwar schon ein solches Register, in das sich alle Lobbyeinrichtungen – von Anwaltskanzleien über Handelskammern, Unternehmen, Verbände bis zu nichtstaatlichen Organisationen – eintragen lassen können. Dies war bislang aber nicht verpflichtend, und beteiligt hatten sich nur das Parlament und die Kommission. Heute stehen gut 9 800 Interessenvertreter auf dieser Liste. Allein 4 000 sind in den vergangenen knapp zwei Jahren dazugekommen, seit die neue Kommission Treffen ihrer Entscheidungsträger von einer Eintragung abhängig gemacht hatte. *Die Bürger hätten das Recht zu erfahren, wer auf die Rechtsetzung der EU Einfluss zu nehmen versuche, erklärte Junckers Stellvertreter Frans Timmermans den Vorstoß. Es gehe auch darum, Vertrauen zurückzugewinnen. “Wir müssen in allem, was wir tun, offener werden.” Ob die Mitgliedstaaten bei dem verpflichtenden Transparenzregister allerdings mitziehen, wird in Brüssel bereits von vielen Seiten bezweifelt. Wenn es um Lobbykontakte gehe, sei der Rat nach wie vor eine “Blackbox”, heißt es etwa bei den Sozialdemokraten im EU-Parlament. Und von Seiten der Grünen kommt die noch deutlich weiter gehende Forderung nach einem verpflichtenden “legislativen Fußabdruck”. Dieser sollte für jedes neue EU-Gesetz transparent machen, welche Lobbyisten bei welchen Abgeordneten, Mitgliedsländern und Mitarbeitern der Kommission Einfluss genommen haben.Oettinger räumte auf jeden Fall nach seiner Achterbahnfahrt im Freizeitpark ein, dass er von Lobbyistenseite schon ein paar Mal im Leben reingelegt worden sei. Seine Erkenntnis: “Daraus lernt man.”