Misstrauensvotum der Wirtschaft gegen den Staat
Misstrauensvotum der Wirtschaft gegen den Staat
Misstrauensvotum gegen den Staat
Unternehmen und Bürger attestieren Politik und Verwaltung in einer Deloitte-Umfrage Handlungsunfähigkeit auf allen Ebenen
Die Bürger in Deutschland, ob sie nun als Unternehmer oder Privatleute mit dem Staat zu tun haben, attestieren dem öffentlichen Sektor weitgehende Entscheidungsohnmacht angesichts seiner dysfunktionalen Strukturen. Das ist fatal nicht nur für die Demokratie, sondern unterminiert auch die Bindungstreue zum Standort, was zu einem Exodus von Unternehmen führen könnte. Die Politik muss handeln, wenn sie ihren Souverän nicht verlieren will.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Wenn Unternehmen befragt werden, was der Staat tun sollte, damit sie wieder mehr investieren, ihre Produktion ausweiten oder mehr Arbeitsplätze schaffen, dann steht oft eine Klage ganz oben: die deutsche Bürokratie entschlacken, vereinfachen, auf ihre Kernaufgaben zurückführen! Geradezu reflexhaft bekennt sich die Politik dann stets dazu, nun tatsächlich einmal mit dem Bürokratieabbau ernst zu machen, überflüssige Regulierung zu streichen, Vorgaben und Verpflichtungen zu vereinfachen, Dokumentationspflichten zurückzunehmen sowie Behördengänge digital zu ermöglichen.
Doch in der Regel passiert dann wenig, wie der Normenkontrollrat (NKR) schon über viele Jahre dokumentiert. Wird eine Bestimmung gestrichen, kommen neue an anderer Stelle dazu. Das Land Hessen hat ein Bürokratieabbaugesetz verabschiedet, in Bayern gibt es einen „Entlastungstracker“. Und zusammen mit dem Statistischen Bundesamt hat der NKR ein Maßnahmenpaket zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vorgelegt – ohne durchschlagende Wirkung bisher.
Modernisierungsagenda als Ziel
Nun hat auch das Bundeskabinett mit großem Aplomb einen Ausschuss zur „Staatsmodernisierung und Bürokratierückbau“ eingesetzt. Ziel ist die Erarbeitung einer „Modernisierungsagenda“. Zugleich wurde ein Sofortprogramm aufgelegt, das kleine und mittlere Unternehmen entlasten soll. Viel zitiert wird etwa das Vorhaben, eine zentrale Stelle zur Fahrzeugzulassung einzurichten. Schon der Koalitionsvertrag sieht vor, die Bürokratiekosten der Wirtschaft um 25% (rund 16 Mrd. Euro) zu senken und den Erfüllungsaufwand für Bürger, Unternehmen und Verwaltung um mindestens 10 Mrd. Euro zu reduzieren.
Aber wie glaubwürdig ist das Ansinnen angesichts der in der Vergangenheit vielfach gescheiterten Abbau- und Entschlackungsbemühungen? Zumindest wurde 2006 mit der Einsetzung des Normenkontrollrats der Druck auf die Politik erhöht. Die Bürokratiekosten wurden erstmals transparent gemacht und beziffert.
Nur Bürokratiepetitessen?
Doch oftmals beschränkten sich die Abbaubemühungen auf bürokratische Petitessen wie Aufbewahrungsfristen. Die strukturellen Ursachen, auf die Verwaltungsprozesse und IT-Integration aufsetzen, blieben die gleichen. Sie können durch formale Erleichterungen nicht aufgelöst werden. Und viele Bestimmungen sind nicht nur aufwändig in der Umsetzung, sondern auch widersprüchlich.
Digital erfasste Bauanträge müssen ausgedruckt werden, weil eine Unterschrift benötigt wird. Denkmalschutz bremst die Photovoltaik aus. Die DSGVO verlangt, personenbezogene Daten so sparsam wie möglich zu verarbeiten, aber das Transparenzregistergesetz verpflichtet Firmen, Daten von Gesellschaftern und Geschäftsführern öffentlich zugänglich zu machen. Und bei Metzgern müssen die verbauten Fliesen aus gesundheitlichen Gründen glatt sein, aus Gründen des Unfallschutzes aber zugleich aufgeraut.
Unbändige Regelungswut
Die wahrgenommenen Bürokratieblockaden haben inzwischen ein Ausmaß erreicht, das den deutschen Verwaltungsstaat selbst infrage stellt, wie jetzt eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte zeigt: Die Bürger verlieren das Vertrauen in die öffentlichen Stellen nicht nur, weil diese sie gängeln, sondern weil sie als handlungsunfähig empfunden werden, die Behörden im Gestrüpp zwischen Verantwortlichkeiten und gesetzlichen Bestimmungen überfordert erscheinen. Denn seit Jahren gibt es kaum Bewegung in Fragen der Staatsmodernisierung, Strukturreformen, Beschleunigung von Prozessen und allgemein der Digitalisierung. Rund 80% der von Deloitte befragen 10.000 Bürger, 2000 privatwirtschaftlichen Entscheider sowie Führungskräften aus der öffentlichen Verwaltung sehen in der Bürokratie und der Überregulierung das größte Problem. Schlimmer: 70% haben gar kein Vertrauen mehr in den Staat, dass dieser seine Aufgaben überhaupt erfüllen kann.

Bürokratieabbau, Digitalisierung der Verwaltung und Verwaltungsreform ist der Dreiklang, der in der Umfrage immer wieder als Anforderung an die Bundesregierung vorgebracht wird. Verlangt wird neben einer Modernisierung auch eine Flexibilisierung der Verwaltung, um auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. 70 bis 80% der Befragten gegen davon aus, dass die Behörden dazu überhaupt nicht mehr in der Lage sind. Ihr Eindruck: Wichtige Entscheidungen in der Umwelt, zur Fachkräftesicherung, für die Digitalisierung und für die Mobilisierung der Wachstumskräfte bleiben liegen und werden nicht umgesetzt. Umgekehrt halten Führungskräfte in der Verwaltung die Gesetze selbst nicht mehr für „vollzugstauglich“. Der Gesetzgeber blockiert sich also selber durch sein Handeln.
Auflösung der Standortbindung
Ein solches Misstrauensvotum ist ein Warnsignal, dass auch die Bindung an den Standort auflöst, wenn Unternehmen die Erfahrung machen, dass es in zentralen Sektoren nicht vorangeht. Ein Exodus könnte drohen. Die Aufgabe des extra für die Reform des Staates eingerichteten „Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung“ unter Führung von Karsten Wildberger ist also gewaltig.
Doch ohne eine grundlegende Reform des Föderalismus wird auch Wildberger nicht weit vorankommen. Denn die Bund-Länder-Kommunen-Interaktion verwischt viele Verantwortlichkeiten, zwingt zu faulen Reformkompromissen und vernebelt für die Bürger die Prozesse.
Eine solche Föderalismusreform hatte im Sommer die überparteiliche „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ vorgestellt unter der Ägide der Managerin Julia Jäkel, des früheren Verfassungsrichters Andreas Voßkuhle, des früheren Innen- und Verteidigungsministers Thomas de Maizière sowie des früheren Finanzministers Peer Steinbrück. Der Applaus war groß, aber die Veränderungsbereitschaft auf föderaler Ebene scheint eher gering – ihre Blockademacht groß.