ALLES AUF GRÜN - KÖPFE DES JAHRES

Multilateralistin

ms - Kristalina Georgiewa hat keine Angst davor, ihre Meinung kundzutun und sich notfalls auch mit den Mächtigen anzulegen. "Eine Politik nach dem Motto ,Wenn Du mehr verlierst, als ich verliere, bin ich der Sieger', ist bescheuert", sagte die...

Multilateralistin

ms – Kristalina Georgiewa hat keine Angst davor, ihre Meinung kundzutun und sich notfalls auch mit den Mächtigen anzulegen. “Eine Politik nach dem Motto ,Wenn Du mehr verlierst, als ich verliere, bin ich der Sieger’, ist bescheuert”, sagte die IWF-Chefin im Oktober bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF), als es um den von US-Präsident Donald Trump angezettelten Handelskrieg mit China ging. Klare und starke Worte – wie sie selbst ein Trump von derart hochrangiger wie berufener Stelle wohl selten hört.Seit Oktober 2019 ist die 66-jährige Bulgarin geschäftsführende Direktorin des IWF. Sie hat damit einen der mächtigsten Posten weltweit in Wirtschafts- und Finanzfragen inne. Sie folgte in dem Amt auf die Französin Christine Lagarde, die im Sommer völlig überraschend als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) auserkoren worden war.Die Europäer, die traditionell den Chefposten des IWF besetzen (während jener der Weltbank an die USA geht), hatten sich beim Auswahlprozess schwergetan und sich nicht mit Ruhm bekleckert. Wo es sonst stets Konsens gab, waren die Fronten diesmal verhärtet. Am Ende war sogar eine Kampfabstimmung zwischen Georgiewa und dem früheren niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem nötig, die ganz knapp ausging. Dadurch stand nicht nur Europa, sondern auch Georgiewa etwas angeschlagen da.Dabei bringt die Ökonomin viele Eigenschaften mit, die sie für den Posten qualifizieren: Als Vizepräsidentin der EU-Kommission, zuständig für den EU-Haushalt, hat sie politisches Geschick und Durchsetzungskraft in schwierigen Verhandlungen bewiesen. Als langjährige Weltbank-Mitarbeiterin und am Ende Nummer 2 der Institution kennt sie bereits seit langem große multilaterale Organisationen. Zudem gilt sie als treibende Kraft hinter der Einigung mit den USA über die jüngste Kapitalerhöhung für die Weltbank – trotz der Abneigung von US-Präsident Trump gegen die Institution. Als Osteuropäerin, die aus einfachen Verhältnissen stammt, dürfte sie zudem ein anderes Verständnis für Schwellen- und Entwicklungsländer haben als manch arrivierter Europäer.Als Manko galt und gilt einigen Beobachtern aber immer noch, dass Georgiewa zwar als Ökonomin promoviert und respektiert ist, sie sich aber in den großen ökonomischen Debatten über Handels- und Leistungsbilanzungleichgewichte, Währungen oder Geldpolitik vor der IWF-Berufung wenig hervorgetan hatte. Zudem gilt sie nicht als Expertin für Finanz- und Finanzstabilitätsfragen. Es sind aber gerade diese Finanz- und Wirtschaftsfragen, die bei aller Begeisterung für Themen wie Klimawandel, Gleichberechtigung und Ungleichheit das Kerngeschäft des IWF ausmachen.Nach den ersten Wochen im neuen Amt sind die Zweifel und die Kritik aber leiser geworden, und in Washington schwärmen viele von der direkten und einnehmenden Art von Georgiewa, die einst als Lebensmittelverkäuferin gearbeitet und in der Wendezeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch Armut erlebt hat, ehe sie schließlich Volkswirtschaft studierte.Vor Georgiewa liegt jetzt auf jeden Fall eine Herkulesaufgabe – denn ganz grundsätzlich steht der Fonds aktuell vor den wohl größten Herausforderungen in den 75 Jahren seit Gründung der Bretton-Woods-Institutionen: US-Präsident Trump ist ein erklärter Gegner von Multilateralismus und rüttelt auch ganz grundsätzlich am Fundament der wirtschaftlichen Nachkriegsordnung. Parallel muss der IWF endlich entschlossener vorankommen bei der Aufgabe, den aufstrebenden Schwellenländern wie China mehr Mitsprache zu geben, um seine Legitimität weltweit abzusichern. Und schließlich braucht es wohl institutionelle Reformen, auch um die zunehmende Politisierung des Fonds zu stoppen. Da wird Georgiewa noch viel Mut und Durchsetzungskraft brauchen.