NOTIERT IN BERLIN

Nachts im Bundestag

Wer am noch jungen Freitag zwischen 0.20 Uhr und 0.40 Uhr die Plenarsitzung des Bundestags verfolgte, der konnte zu dieser nächtlichen Stunde eine durchaus lebhafte Debatte zu einer Europäischen Digitalsteuer verfolgen. Der Antrag der Grünen stand...

Nachts im Bundestag

Wer am noch jungen Freitag zwischen 0.20 Uhr und 0.40 Uhr die Plenarsitzung des Bundestags verfolgte, der konnte zu dieser nächtlichen Stunde eine durchaus lebhafte Debatte zu einer Europäischen Digitalsteuer verfolgen. Der Antrag der Grünen stand auf der Tagesordnung zusammen mit dem Begehren der FDP-Fraktion nach einer Unternehmenssteuerreform. Die Frage ist naheliegend, warum Parlamentarier zu nachtschlafenden Zeiten über Steuerfragen diskutieren, zu denen gute Bürger schon im Bett liegen, um am nächsten Tag ausgeruht am Arbeitsplatz zu erscheinen. Wäre es nach dem Willen der AfD gegangen, hätte die Sitzung sogar bis 4.35 Uhr gedauert, um bereits um 9 Uhr anderntags wieder zu beginnen. Viele Abgeordnete hatten schon Aufputschgetränke und Zahnbürsten bereitgestellt, um die Nacht im Reichstag zu überstehen und die Beschlussfähigkeit des Plenums zu sichern. Die Hälfte von 355 Stimmen der Mitglieder des Bundestags ist erforderlich.Nun sind Tagesordnungen, die bis in die Nacht reichen, durchaus nichts Ungewöhnliches mehr, seit der Bundestag sechs Fraktionen zählt. Üblich ist aber, dass Reden insgesamt zu späten Uhrzeiten schriftlich zu Protokoll gegeben werden (wo sie später auch öffentlich nachlesbar sind). Die Abgeordneten beschränken sich auf die Abstimmung etwa zur Überweisung in einen Ausschuss. Damit müssen aber alle einverstanden sein. Die AfD bestand hingegen darauf, ihre Redezeit zu nutzen.Am Nachmittag zuvor hatte die Fraktion gar keinen Grund zur Freude. Der Bundestag ließ erneut ihren Kandidaten für den Vizepräsidenten durchfallen. Gerold Otten scheiterte damit zum zweiten Mal, obwohl die Fraktionsspitze der CDU/CSU einen versöhnlichen Ton angeschlagen hatte, schon um Märtyrer zu verhindern. Auch in den Wahlen für fünf andere Gremien konnte die AfD ihre Kandidaten erneut nicht durchbringen. Darunter sind drei Finanzgremien: das Gremium gemäß der Bundeshaushaltsordnung, das die geheimzuhaltenden Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste billigt, das Gremium gemäß dem Bundesschuldenwesengesetz, das vom Finanzministerium über das Schuldenwesen vertraulich informiert wird, und das Sondergremium nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz, das bei europäischen Rettungsprogrammen eingeschaltet wird und marktsensible Informationen erhält.Der Bundestag setzt die Wahlen inzwischen im Monatsrhythmus an. 2019 wurde Mitte Februar, in der zweiten März-Hälfte, im April und Mitte Mai gewählt. 2018 waren die Gremienwahlen noch deutlich gestreckter – Anfang März, im April und Mitte Dezember. Während die AfD zunächst immer wieder dieselben Kandidaten für dieselben Posten nominierte, behält sie nun weitgehend den Kandidaten-Pool bei, variiert aber die Gremien, für die diese Abgeordneten antreten. Geholfen hat ihr das bislang nicht. Auch die ultraspäte Debatte wussten die übrigen Fraktionen zu verhindern. Viele ihrer Redner gaben ihre Reden zu Protokoll und verkürzten damit die Plenardauer. Um 0.50 Uhr war dann Schluss.