Klimaschutz

Ökonomen hadern mit Karlsruher Urteil

Das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Klimaschutz stößt unter führenden Ökonomen auf Kritik. Dem Verdikt zufolge muss die Bundesregierung nicht nur ihre eigene Klimapolitik nachbessern, sondern darüber hinaus jegliche...

Ökonomen hadern mit Karlsruher Urteil

rec Frankfurt

Das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Klimaschutz stößt unter führenden Ökonomen auf Kritik. Dem Verdikt zufolge muss die Bundesregierung nicht nur ihre eigene Klimapolitik nachbessern, sondern darüber hinaus jegliche Anreize für andere Staaten vermeiden, „das erforderliche Zusammenwirken zu unterlaufen“. Der langjährige Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hält das für problematisch. Als Beispiel nennt Sinn Brennstoffe: Geht die Nachfrage nach fossilen Energieträgern in Deutschland zurück, sinken tendenziell die Preise auf den Weltmärkten – was es für andere Länder attraktiver macht, auf Öl und Kohle zu setzen statt auf erneuerbare Energien. Für den Volkswirt Carl Christian von Weizsäcker leidet das Urteil daran, „dass grundsätzliches Nachdenken, was Nachhaltigkeit bedeutet, nicht stattgefunden hat“. Und Deutsche-Bank-Ökonom Eric Heymann fürchtet die „Sprengkraft“ des Urteils: „Es könnte ein sehr viel größerer politischer und gesellschaftlicher Spaltkeil werden als die Euro-Krise, die Flüchtlingskrise oder die Corona-Maßnahmen“, schreibt Heymann in einer Analyse.

Die Reaktionen deuten an: Die nationalen Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels stellen die Politik vor Dilemmata. So plädierte Sinn bei einem Symposium der Herbert-Giersch-Stiftung für den Vorschlag des Nobelpreisträgers William Nordhaus, der besonders ambitionierte Staaten zur Gründung eines Klimaclubs aufrief, um sich auf einen gemeinsamen CO2-Preis zu verständigen. Importe aus Ländern, die den Ausstoß von Treibhausgasen nicht oder in geringerem Umfang bepreisen, könnten dann mit Zusatzabgaben belegt werden. Darauf zielten wohl auch die Karlsruher Richter in ihrem Urteil, mutmaßte Sinn. Einen solchen CO2-Grenzausgleich plant die Europäische Union – was ihr von Schwellen- und Entwicklungsländern allerdings den Vorwurf des grünen Protektionismus einbringt.

Umstritten ist auch die Rolle der Billionen-Wirtschaftshilfen in weiten Teilen der Welt als Reaktion auf die Coronakrise. Die Konjunkturpakete könnten „Hebel sein für mehr Klimaschutz“, sagt Handelsexpertin Clara Brandi vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Das Problem: Die staatlichen Programme fördern vielerorts offenbar vor allem Industrien und Branchen, die nicht als klimafreundlich gelten, statt eine Transformation der Wirtschaft in die Wege zu leiten. Brandi verwies auf einen entsprechenden Bericht der zu McKinsey gehörenden Beratungsfirma Vivid Economics mit der Interessenorganisation Finance for Biodiversity.

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