Oy vey
Das Attentat auf eine Synagoge in Pittsburgh, Pennsylvania, bei dem am Samstag elf Menschen getötet wurden, sorgt in den USA landesweit für Bestürzung. Besonders groß ist die Anteilnahme in New York, der Stadt mit der weltweit größten jüdischen Bevölkerung. Wenige Stunden nach dem Anschlag sprach der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio an der Seite von Vertretern aller großen Religionen den Opfern des Anschlags und ihren Familien sein Mitgefühl aus. “Diese Zusammenkunft sendet die Botschaft aus, dass sich New York dem Hass niemals beugen wird”, sagte de Blasio vor der Synagoge der größten jüdischen Reformgemeinde in Manhattan, Temple Emanu-El. “Wir werden niemals zulassen, dass man uns auseinanderdividiert”, betonte der Bürgermeister das tolerante Nebeneinander aller Religionen. Doch auch im Bundesstaat New York haben die antisemitischen Anfeindungen zuletzt zugenommen. “Wir sehen größere Spannungen mit rassistischem Hintergrund als je zuvor, mehr White Supremacists als jemals zuvor, mehr Gruppen des Ku-Klux-Klan als je zuvor und die meisten antisemitischen Taten seit Jahren”, erklärte der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo bei einem Besuch der Hebrew Academy of the Five Towns and Rockaway auf Long Island, vor den Toren der Stadt. *Nach Angaben der Anti-Defamation League sind die Fälle von antisemitischen Angriffen in den USA seit 2017 landesweit um 60 % gestiegen. Im Bundesstaat New York habe sich die Zahl beinahe verdoppelt, sagte Cuomo. Erst wenige Tage vor dem Anschlag in Pittsburgh war der jüdische Milliardär George Soros an seinem Domizil in New York einer der ersten Adressaten einer Briefbombenserie. Der Teilstaat New York weist innerhalb der USA die größte jüdische Bevölkerung aus. Allein in der Stadt New York sind mehr als 1,5 Millionen der insgesamt rund 6,5 Millionen amerikanischen Juden zu Hause. Wegen der zunehmenden Anfeindungen haben jüdische Einrichtungen in New York in den vergangenen Monaten finanzielle Unterstützung der Regierung in Albany für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen erhalten. Allein im New Yorker Stadtteil Brooklyn wurden 188 Projekte mit knapp 6 Mill. Dollar unterstützt. Hier sind nicht nur 120 Synagogen beheimatet, sondern auch mehr Juden zu Hause als in Jerusalem oder Tel Aviv. Auf dem Straßenschild, das Autofahrern auf der Williamsburg Bridge in Richtung Manhattan den Hinweis gibt, dass sie den Stadtteil verlassen, steht als Reverenz an die jüdische Gemeinde “Oy vey”, ein jiddischer Seufzer der Verzweiflung. Das US-Ministerium für Heimatschutz hat die Mittel für den Schutz von Non-Profit-Organisationen ebenfalls aufgestockt. Sie sollen jüdischen Institutionen wie Tagesschulen, Synagogen oder Jewish Community Centers explizit die bessere Vorbereitung auf “active shooter situations” wie in Pittsburgh ermöglichen. *Wie die Vorkehrungen für den Fall eines Attentats mit einem Sturmgewehr aussehen sollten, hat US-Präsident Donald Trump schon kurz nach dem Anschlag erläutert. Ein bewaffneter Sicherheitsmann vor der Synagoge hätte in Pittsburgh Schlimmeres verhindern können, erklärte Trump sinngemäß und wiederholte, was er zuletzt auch nach einem Massaker an einer Highschool in Florida geraten hatte. Der Präsident steht bei der US-Waffenlobby im Wort und will das für viele seiner Anhänger heilige Recht auf den Besitz von Waffen nicht einschränken. Bei den Wahlen zum US-Kongress in der kommenden Woche spielt das Thema trotzdem nur eine geringe Rolle. Ob das im Präsidentschaftswahlkampf 2020 anders wird, dürfte auch davon abhängen, wie erfolgreich die vom ehemaligen New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg unterstützte Initiative “Everytown for Gun Safety” mit ihren Werbebotschaften in 24 Kongressbezirken mit fünf Millionen Wählern ist. Bloomberg, der als Kandidat für das Rennen um das Weiße Haus gehandelt wird, teste mit der Initiative, welche Botschaften bei den Wählern ankommen, berichtet Axios. Der New Yorker Milliardär wäre der erste jüdische US-Präsident.