Pariser Finanzplatz blutet aus
Französische Bürger begegnen Banken und Unternehmen oft mit einer gehörigen Portion Misstrauen. Doch in einem Punkt sind sie sich derzeit mit ihnen einig: Sie klagen allesamt über die viel zu hohen Steuern. So zeigte sich Jean-Laurent Bonnafé, Chef der Großbank BNP Paribas und Vorsitzender der französischen Bankenunion Fédération Bancaire Française, in einem Interview zuletzt äußert verärgert darüber, weil die hohe Steuerlast französische Banken im europäischen Wettbewerb benachteilige. In einer am selben Tag von der Tageszeitung “Le Monde”, dem Fernsehsender BFMTV und der Zeitschrift “Revue Française des Finances Publiques” veröffentlichten Umfrage klagte eine Mehrheit der Franzosen ebenfalls, zu viele Steuern zahlen zu müssen. Die rote Linie sei in Bezug auf Steuererhöhungen überschritten worden, meinte auch EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier bei einer Podiumsdiskussion der französischen Nationalversammlung. “Es gibt zu viele Steuern in Frankreich, mit einem Ergebnis, das nicht immer den Anforderungen entspricht”, kritisierte er.Immerhin beträgt die Steuer- und Abgabenquote in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone bereits jetzt mehr als 46 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im nächsten Jahr dürfte sie auf 46,5 % steigen. Nachdem für 2012 Steuererhöhungen in Höhe von 22 Mrd. Euro und für 2013 von weiteren 24 Mrd. Euro beschlossen wurden, sieht der Haushaltsentwurf 2014, über den die Abgeordneten der Nationalversammlung diese Woche debattieren, weitere Steuererhöhungen im Umfang von mindestens 6 Mrd. Euro vor.Nach Angaben von BNP-Chef Bonnafé betrug die Abgabenlast für den französischen Bankensektor im vergangenen Jahr insgesamt, also unter Berücksichtigung aller Steuern, sogar 63 %. Durch die nun von der sozialistischen Regierung geplante Verdoppelung der unter dem konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy eingeführten Sonderabgabe auf Gewinne von Unternehmen werde sich die Abgabenlast der Banken auf 65 % erhöhen, stöhnte er. “Mit einem solchen Niveau stößt eine Branche auf Schwierigkeiten, zu investieren und sich zu erneuern”, kritisierte er. “Dabei erwartet man von Geschäftsbanken, dass sie die Wirtschaftssubjekte finanzieren.”Nach Ansicht von Experten führt die hohe Steuerlast bereits dazu, dass der Finanzplatz Paris gegenüber London immer mehr ins Hintertreffen gerät. Laut “Les Echos” verlassen immer mehr Finanzanalysten die französische Hauptstadt, um in die City an die Themse umzuziehen. Brokerhäuser und Banken würden ihre Analyse-Abteilungen in London zulasten von Paris ausbauen, berichtet das Blatt. Einer der Gründe dafür sei der Wunsch der Institute, möglichst nah bei ihren Kunden zu sein. Aber eben nicht nur. Denn die Steuererhöhungen seien ebenfalls mit daran schuld.Es sei unmöglich geworden, Abteilungsleiter in Paris zu rekrutieren, zitiert das Blatt Eric Singer, Leiter des Headhunter-Büros Singer & Hamilton. Kein Ausländer oder Expat sei bereit, in die französische Hauptstadt zu kommen. “Die Wahrnehmung des französischen Steuersystems und der Reglementierungen ist sehr negativ, auch wenn das nicht immer der Realität entspricht”, erklärt er. Deshalb müssten viele Banken die entsprechenden Posten in London ansiedeln.Die Marginalisierung der französischen Hauptstadt als Finanzplatz könnte sich sogar noch verstärken, wenn andere Unternehmen dem Beispiel des Ölkonzerns Total folgen und ihre Finanzabteilungen nach London verlegen. Paris Europlace, die Interessenvereinigung des Finanzplatzes Paris, sieht deshalb dringenden Handlungsbedarf.Den sehen auch französische Arbeitgeber. Als sich vor wenigen Tagen 2 000 Unternehmenschefs aus Ostfrankreich im Kongresszentrum von Lyon trafen, hielten sie alle eine gelbe Karte in der Hand, um der sozialistischen Regierung in Paris ihren Unmut deutlich zu machen. “Wenn nicht bald etwas passiert, ziehen wir die rote Karte”, drohte Pierre Gattaz, der Chef des französischen Arbeitgeberverbandes Medef. Es gebe drei Dinge, die den französischen Unternehmen die Luft abschnürten: die hohen Abgaben, die geringe Profitabilität und nicht zuletzt die unzähligen Regulierungen.