LEITARTIKEL

Pflegebedürftig

Schwach ist sie derzeit, die deutsche Konjunktur. So malade, wie manche Konjunkturindikatoren suggerieren, ist sie allerdings (noch) nicht. Bei der Bewertung des Gesundheitszustands muss besonderes Augenmerk der Industrie gelten, die für etwa ein...

Pflegebedürftig

Schwach ist sie derzeit, die deutsche Konjunktur. So malade, wie manche Konjunkturindikatoren suggerieren, ist sie allerdings (noch) nicht. Bei der Bewertung des Gesundheitszustands muss besonderes Augenmerk der Industrie gelten, die für etwa ein Viertel der Wirtschaftsleistung steht. Seit einiger Zeit ist das verarbeitende Gewerbe der am stärksten kränkelnde Part, wie sich etwa an den Stimmungsindikatoren zeigt, die sich von ihren Höchstständen zusehends entfernen. Aber auch harte Daten wie Auftragseingang und Industrieproduktion zeugen von drohendem Ungemach. Noch sind zwar die Orderbücher gut gefüllt, das kann sich aber schnell ändern. Der Patient ist zwar kein Fall für die Intensivstation, aber pflegebedürftig.Öffentlichkeitswirksamstes Schwächesymptom ist wohl die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im dritten Quartal 2018 ist es geschrumpft – erstmals seit 2015. Dies verhalf dem R-Wort zu neuer Popularität. Die Aufregung war dementsprechend groß, ob es denn zu einer technischen Rezession kommen würde oder nicht. Diese ist definitionsgemäß gegeben, wenn zwei aufeinanderfolgende Quartale ein – auch nur leichtes – Minus im Quartalsvergleich aufweisen. Das Ergebnis ist bekannt: Es hat für das BIP im Schlussabschnitt gerade so zur Stagnation gereicht.Allerdings schwirren etliche krankheitserregende Viren weiter munter durch die Weltwirtschaft, die zudem insbesondere die stark exportorientierte deutsche Industrie treffen würden. Der akuteste Dauerbrenner ist sicher der Brexit. Im Sinne sämtlicher (europäischer) Volkswirtschaften sollten die britischen Politiker endlich sagen, was sie wirklich wollen, anstatt sich auf ein “No” gegen alles zu versteifen. Mit den endlosen Debatten, Terminverschiebungen und Abstimmungsmarathons ist niemandem gedient.Oder die von den USA ausgehenden Handelskonflikte, die den globalen Handel dermaßen abbremsen, dass die Prognosen reihenweise gekappt werden – zuletzt von der Welthandelsorganisation WTO und dem Internationalen Währungsfonds. Nicht nur, dass sich der Zwist mit China auf die dortige Wirtschaft auswirkt – über eine entsprechend schwächer werdende Nachfrage zeigen sich die Folgen allüberall. Eine – teilweise wohl auch etwas übertrieben – große Hoffnung ruht auf dem Konjunkturstimulierungsprogramm der Regierung in Peking. Immerhin ist China nach den USA und Frankreich wichtigstes Abnehmerland deutscher Waren.Würde nun US-Präsident Donald Trump zusätzlich zu den gestern an den Airbus-Subventionen festgemachten Sonderzöllen für EU-Produkte wie angedroht die Autoimporte auf die Sonderzoll-Liste nehmen, träfe das eine ohnehin schon ziemlich angeschlagene Branche. Neben dem WLTP-Problem haben auch die Diesel-Fahrverbote in deutschen Großstädten für ziemlichen Katzenjammer gesorgt.Je größer die Verunsicherung, desto geringer Konsum und Investitionen, so die einfache Formel. Die Binnenkonjunktur immerhin läuft derzeit rund und sollte auch in diesem Jahr als Wachstumsstütze fungieren. Mit dem robusten Arbeitsmarkt als Basis werden die Verbraucher den privaten Konsum hochhalten. Dank der immer noch niedrigen Inflation bleibt von den weiter zunehmenden Lohn- und Gehaltssteigerungen mehr im Geldbeutel. Zumal Sparen keine echte Alternative ist und Angstsparen sowieso kein Thema – die Sorge vor einem Arbeitsplatzverlust ist aktuell auf einem Tiefststand. Arbeitgeber und Gewerkschaften sollten in Tarifverhandlungen mit ihren Forderungen und Angeboten so agieren, dass die allgemeine Verunsicherung nicht auf die Arbeitsmarktperspektiven überschwappt. Dass die EZB die Zinswende nun mindestens aufs Jahresende 2019 hin verschoben hat sowie die neuen Langfristtender (TLTRO III) sollten das Verbrauchervertrauen und die moderate, aber stabile Investitionstätigkeit zusätzlich anschieben.Pflegende Maßnahmen der Politik sind ebenfalls dringend nötig, um die Konjunktur am Laufen zu halten. Da Personalmangel für viele Unternehmen ein Engpassfaktor ist, sollte das Fachkräftezuwanderungsgesetz zügig kommen. Auch in Sachen steuerlicher Forschungsförderung sollte die Koalition endlich in die Pötte kommen. Die immer wieder angemahnten Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie ein weiterer Bürokratieabbau sind schlicht überfällig. Am wichtigsten aber ist, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen im Blick zu behalten. Mit dieser Pflege kommt der Patient auch wieder auf die Beine.—–Von Alexandra BaudeDie deutsche Wirtschaft schwächelt. Es gilt, die Binnenkräfte zu stärken, denn die wahre Gefahr lauert derzeit im internationalen Umfeld.—–