NOTIERT IN MADRID

Postolympischer Ringkampf

Am Sonntagabend kommentierte der sportbegeisterte Mariano Rajoy zum Abschluss der Olympischen Spiele in einem populären Radioprogramm die Erfolge der spanischen Athleten in Rio de Janeiro. Am Ende sprach der Moderator den Ministerpräsidenten halb im...

Postolympischer Ringkampf

Am Sonntagabend kommentierte der sportbegeisterte Mariano Rajoy zum Abschluss der Olympischen Spiele in einem populären Radioprogramm die Erfolge der spanischen Athleten in Rio de Janeiro. Am Ende sprach der Moderator den Ministerpräsidenten halb im Scherz auf die festgefahrene politische Lage im eigenen Lande an und fragte, ob es denn bis zu den Spielen 2020 in Tokio eine neue Regierung gebe. “Na ja, ich wage keine Vorhersagen mehr”, antwortete Rajoy mit dem trockenen Humor seiner galicischen Heimat.Der Witz hat einen ernsten Hintergrund, denn Spanien hat seit mehr als 300 Tagen keine voll handlungsfähige Regierung. Nach der Neuauflage der Parlamentswahl im Juni ist weiter keine Einigung in Sicht. Rajoys konservative Volkspartei (PP) ist mit 137 Abgeordneten stärkste Kraft im Parlament, ihr fehlen aber Stimmen zur Mehrheit im Unterhaus mit 350 Sitzen. Diese Woche kommt trotz der sommerlichen Bruthitze in Madrid endlich etwas Bewegung in die Lage. Die Konservativen haben offizielle Verhandlungen mit der liberalen Reformpartei Ciudadanos begonnen. Die “Bürger” haben eine 180-Grad-Wende von ihrer Position im Wahlkampf vollzogen und signalisiert, dass ihre 32 Abgeordneten Rajoy möglicherweise zur Wiederwahl verhelfen könnten. Nun wird um programmatische Inhalte gefeilscht, insbesondere in der Wirtschaftspolitik. Allzu weit voneinander entfernt ist man da nicht, aber es gibt einige Streitpunkte, wie den Vorschlag von Ciudadanos, mit einem einheitlichen unbefristeten Arbeitsvertrag den Missbrauch bei der Zeitarbeit zu bekämpfen, oder den Pflichtbeitrag von Freiberuflern zur Sozialversicherung zu senken. Alles in allem wohl keine unüberwindbaren Hürden.Brisanter ist der Umgang mit der Korruption. Eines der Aushängeschilder der Liberalen von Albert Rivera, das sie mit der Linkspartei Podemos teilen, ist das rigorose Vorgehen gegen die schwarzen Schafe, und davon gibt es vor allem in der konservativen Volkspartei jede Menge. Die Konservativen haben sich nun dazu verpflichtet, Abgeordnete, die in Verfahren wegen Korruption verwickelt sind, auszumustern. Die Abmachung soll aber erst in Kraft treten, wenn Rajoy zum Ministerpräsidenten wiedergewählt worden ist.Und genau da liegt die Crux. Denn beide Parteien kämen im Falle einer Einigung und unter Einbeziehung der Parlamentarierin einer Regionalpartei von den Kanaren auf 170 Stimmen im Unterhaus, sechs weniger als die absolute Mehrheit. Rajoy ist also darauf angewiesen, dass sich bei der Wahl nächste Woche zumindest im zweiten Durchgang andere Parteien enthalten. Der Blick richtet sich auf die Sozialisten (PSOE), die zweitstärkste Fraktion mit 85 Abgeordneten. Deren Chef, Pedro Sánchez, lässt sich aber nicht von seiner Absicht abbringen, mit einem Nein Rajoy im Parlament scheitern zu lassen. Nach der Wahl vom Dezember hatte Sánchez selbst versucht, mit der Unterstützung von Ciudadanos an die Macht zu gelangen, scheiterte im März aber an der Ablehnung der PP und Podemos. Nun soll Rajoy offenbar Gleiches widerfahren.Es gibt aber noch einen anderen Grund für das taktische Vorgehen der PSOE. Am 25. September wird in Galicien und im Baskenland gewählt, und eine Unterstützung für die beim eigenen Anhang sehr unbeliebte Rajoy-Regierung könnte da teuer werden. In Madrid geht man daher davon aus, dass der amtierende Ministerpräsident nächste Woche im Parlament scheitern wird und erst Ende September, nach den beiden Regionalwahlen, die Verhandlungen neu aufgenommen werden. Dann könnten die Karten neu gemischt sein. Denkbar ist, dass die konservativen baskischen Nationalisten der PNV zum Machterhalt auf die Stimmen der PP angewiesen sein könnten.Vorerst, sprich nächste Woche, werden die fünf Abgeordneten der PNV im nationalen Parlament in Madrid gegen Rajoy stimmen. Sollten sich die Verhandlungen bis Oktober hinziehen, wird es knapp, um den Haushalt 2017 rechtzeitig abzusegnen und in Brüssel vorzulegen. Wenn bis Ende Oktober kein Kandidat eine Mehrheit im Unterhaus hinter sich gebracht haben sollte, käme es automatisch zu Neuwahlen. Ein Termin für den dritten Urnengang in einem Jahr wird auch schon gehandelt: der 25. Dezember. Schöne Bescherung.