Powells Dilemma
det Washington
Wie erwartet hat die US-Notenbank Federal Reserve angekündigt, das Tempo beim Zurückfahren ihrer monatlichen Anleihekäufe (Tapering) ab Anfang nächsten Jahres auf 30 Mrd. Dollar zu verdoppeln. Zugleich deutete sie Zinserhöhungen an, die der Offenmarktausschuss (FOMC) somit bereits ab März beschließen könnte, da das Tapering dann abgeschlossen sein wird. 2022 dürfte die Fed nach jetzigem Stand dreimal den Leitzins anheben. Dies geht aus der sogenannten „Dot Plot“-Grafik der Fed hervor, welche die Prognosen der 18 Mitglieder des Offenmarktausschusses (FOMC) wiedergibt.
Einigen Experten geht der beschleunigte Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik der vergangenen 21 Monate nicht weit genug. Sie meinen, dass Notenbankchef Jerome Powell bereits am Mittwoch einen konkreten Zeitpunkt für die erste Anhebung des Leitzinses seit Ende 2018 hätte in Aussicht stellen sollen.
Positives Konjunkturbild
Powell steckt jedenfalls in einem Dilemma: Angesichts der steigenden Inflation, die an den Verbraucherpreisen gemessen im November den höchsten Stand seit fast vier Jahrzehnten erreicht hat, muss er mit entschlossenen Schritten die geldpolitischen Zügel straffer ziehen. Gleichzeitig müssen der Fed-Chef und seine Kollegen im FOMC aber die konjunkturellen Folgen der Omikron-Variante des Coronavirus im Auge behalten, die nach Ansicht von Gesundheitsexperten erst im neuen Jahr in den USA ihre volle Wirkung entfalten wird.
Anlässlich der letzten FOMC-Sitzung im laufenden Jahr zeichneten die Währungshüter jedenfalls ein insgesamt positives Konjunkturbild. Sie sprachen von robustem Wirtschaftswachstum, „substanziellem Stellenaufbau“ und einem bedeutenden Rückgang der Arbeitslosenquote. Zwar werde die Wirtschaft dieses Jahr mit einem Plus von 5,5% etwas schwächer wachsen als im Herbst angenommen, dafür mit einer Wachstumsrate von 4,0% im kommenden Jahr aber stärker zulegen als zuvor geschätzt.
Mit Blick auf den weiteren geldpolitischen Kurs der Fed fallen aber vor allem die Teuerungsrate und die Erwerbslosenquote ins Gewicht. So rechnet die Notenbank 2022 mit einem Rückgang des PCE-Preisindex von 5,3% auf 2,6%. Beide Projektionen fielen höher aus als im September. Ermutigend ist hingegen, dass die Fed nun für nächstes Jahr einen Rückgang der Arbeitslosenquote von 4,3% auf 3,5% unterstellt. Damit wäre jener Wert erreicht, der aus Powells Sicht Vollbeschäftigung entspricht und den Weg freimachen würde für die erste Zinserhöhung seit über drei Jahren.
Dennoch lauern Abwärtsrisiken, die zu einem Zeitpunkt, an dem die Delta-Variante des Virus in den USA für 99% aller Erkrankungen verantwortlich ist, Infektionen mit der Omikron-Variante aber rasant steigen, schwer abzuschätzen sind. Powell hob zwar Fortschritte bei der Impfkampagne hervor. Gleichwohl haben mehr als 120 Millionen US-Bürger noch nicht den vollen Impfschutz, und angesichts der politisch aufgeladenen Stimmung und der Polarisierung, die diese nach sich gezogen hat, ist kaum anzunehmen, dass die Impfquote von 61% deutlich steigen wird.
Kritik von Analysten
Die Ungewissheit über den weiteren Verlauf der Pandemie spielt aus der Sicht der meisten Analysten, die sich ein aggressiveres Vorgehen seitens der Notenbank gewünscht hätten, aber eine untergeordnete Rolle. Nachdem der Nationalökonom Mohamed El-Erian Powells Darstellung der Inflation als „vorübergehend“, wovon sich der Notenbankchef mittlerweile distanziert hat, als die „schlechteste Entscheidung in der Geschichte der Fed“ kritisierte, legte der frühere Fed-Gouverneur Frederic Mishkin nach. Er sagte, dass „die Fed mit ihren Entscheidungen hinterherhinkt“.
Laut Mishkin ist es falsch, angesichts so hoher Inflation und einer Bilanzsumme, die seit dem Ausbruch der Pandemie von 4,2 auf über 8,7 Bill. Dollar angeschwollen ist, „weiter expansive Geldpolitik zu betreiben“. Powell hätte einen konkreten Zeitpunkt für den anvisierten Beginn der Zinserhöhungen nennen sollen, meint der Volkswirt. Auch könne er sich vorstellen, dass das Tapering, welches nach dem jetzigen Zeitplan im März abgeschlossen wäre, von einer Zinserhöhung begleitet wird. Eine solche Koppelung hat Powell aber ausgeschlossen.