Ratingagenturen im Regulierungsnebel

Die neuen Vorschriften für die Bonitätsbewertung von Staaten lassen neue Gefahren entstehen

Ratingagenturen im Regulierungsnebel

Von Stephan Lorz, Frankfurt “Gut gemeint” ist oft der kleine Bruder von “schlecht gemacht”. Womöglich gilt diese Volksweisheit auch für die neuen Regulierungsbestimmungen für das Staatenrating, die ab 1. April gelten. Dann müssen die Bonitätsbewerter nämlich nicht nur höheren Transparenzanforderungen genügen und haben im Falle von Ratingfehlern bzw. Regulierungsübertritten empfindliche Geldstrafen zu zahlen, sondern es ist auch genau vorgeschrieben, wie die Ratingentscheidungen durchgeführt und veröffentlicht werden. Aber ob das wie erhofft tatsächlich zu einer Marktberuhigung beiträgt, die Bedeutung der Ratingnoten relativiert und damit das Heranrollen von Herabstufungswellen verhindert wird, ist doch fraglich. Womöglich wird das Klima an den Bondmärkten eher noch rauer, steigern Gerüchtekaskaden die Volatilität und sinkt sogar die Glaubwürdigkeit der vom Regulierer in Schutz genommenen Wackelstaaten.Den Anstoß zur neuen Regulierung lieferten die Ratingagenturen in den vergangenen Jahren aber selbst. Ihnen wird in der Finanzkrise eine unrühmliche Rolle vorgeworfen, weil sie undurchsichtige – und später wertlose – Derivate mit einem Spitzenrating versehen hatten. Hinzu kam im Falle der Staatenratings der Vorwurf, Bonitätsherabstufungen bewusst zu besonders ungünstigen Zeitpunkten abgegeben und mit eher schwachen Begründungen versehen zu haben. Bisweilen, so wird argumentiert, hatte das die Marktkonditionen so weit verschlechtert, dass eine erneute Herabstufung auf dem Fuße folgte. Erfahrung der FinanzkriseUnzuverlässig, käuflich, gefährlich, wettbewerbsbehindernd und amerikanisch, so die vielfach pauschalen Vorwürfe aus der Politik. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier spricht sogar von “falschen” Ratings. Er verweist darauf, dass die verabschiedeten Maßnahmen durchaus “verhältnismäßig” seien. So soll durch die klare Terminvorgabe verhindert werden, dass das betreffende Land, das gerade an einer kritischen Schwelle steht, noch zusätzlich durch Bonitätsurteile geschwächt wird.Schon das Urteil, die Bonitätsbewertungen für Staaten hätten sich in der Vergangenheit als unzuverlässig erwiesen, lässt sich kaum beweisen. Im Gegenteil: Immer wieder geben Ratingagenturen Einsicht in ihre früheren Bewertungen und vergleichen sie mit der aktuellen Situation. Ergebnis: Die allermeisten Bewertungen haben sich im Rahmen der entsprechenden Bonitätsstufe entwickelt. Auch zeigt sich, dass es eher die Märkte waren, die über die Stränge geschlagen haben. Noch zu Beginn der Währungsunion, als die Ratingagenturen schon die ersten Herabstufungen durchgeführt hatten, waren die Zinsniveaus in der Eurozone nahezu alle gleichauf. Erst mit Beginn der Euro-Krise gingen die Spreads auseinander – und zwar gleich so stark, dass die Ratingagenturen heute eher als Kalmierer angesehen werden können.Nun sehen die Ratingbestimmungen für Staatsanleihen vor, dass die Agenturen Ende Dezember einen Zeitplan für die kommenden zwölf Monate veröffentlichen müssen, in dem die Zeitpunkte von Länderratings und ggf. die Veröffentlichung der damit verbundenen Ausblicke aufgeführt werden. Die Veröffentlichung selbst muss auf einen Freitag nach Börsenschluss gelegt werden und der betroffene Emittent muss 24 Stunden vorher informiert werden. Nur in begründeten Ausnahmefällen ist ein Abweichen möglich. Credit-Watch-Ankündigungen, die auf eine mögliche Ratingveränderung vorbereiten, dürften damit hinfällig sein. Die Zwangsjacke soll dafür sorgen, dass das Volatilitätsrisiko sinkt und Ansteckungseffekte zwischen Mitgliedstaaten verringert werden.Allerdings könnte das Korsett von Marktakteuren – die Veröffentlichungstermine vor Augen – auch dazu hergenommen werden, um durch Gerüchte Kursbewegungen zu provozieren. Wegen der langen Zeitspanne zwischen Emittenteninformation und Veröffentlichung nimmt zudem die Gefahr von Informationslecks zu. An der Glaubwürdigkeit der jeweils betroffenen Staaten nagt ferner, dass den Ratingagenturen laut Gesetzestext verboten ist, Äußerungen im Hinblick auf die Richtung der Politik zu machen. Explizit aufgeführt sind Wirtschaft, Beschäftigung und “sonstige Politikbereiche”. Den Analysten sei es nicht erlaubt, “den öffentlichen Emittenten unmittelbare oder ausdrückliche Vorgaben oder Empfehlungen in Bezug auf eine bestimmte Politik zu machen”. Dabei sind diese immanent Bestandteil der Bonitätsbeurteilungen. Ziele werden nicht erreichtAllen Bestimmungen fehlt noch die konkrete Ausgestaltung. Insofern stochern die Ratingagenturen bei der Anpassung ihrer Geschäftsprozesse noch im Nebel. Ihr Hauptziel – mehr Schutz der Emittenten vor Marktverwerfungen und ein etwas empfindsameres Vorgehen der Bonitätsprüfer – dürfte die Neuerung indes keinesfalls herbeiführen.