NOTIERT IN PARIS

Recht und Pflicht zum Abschalten

Januar, das bedeutet in Frankreich Neujahrsempfänge. Kaum ein Unternehmen, Politiker oder Verband, der in den nächsten Wochen nicht dazu einlädt. Denn im laizistischen Frankreich sind Neujahrswünsche wichtig, Weihnachtsgrüße dagegen nicht. Bis Ende...

Recht und Pflicht zum Abschalten

Januar, das bedeutet in Frankreich Neujahrsempfänge. Kaum ein Unternehmen, Politiker oder Verband, der in den nächsten Wochen nicht dazu einlädt. Denn im laizistischen Frankreich sind Neujahrswünsche wichtig, Weihnachtsgrüße dagegen nicht. Bis Ende Januar darf man sie noch verschicken. Viele Franzosen haben dies bereits an Silvester oder am 1. Januar elektronisch getan. Immer mehr haben dafür Smartphone-Applikationen wie Whatsapp genutzt. Die Zahl der Neujahrs-SMS dagegen hat nach Angaben von Telekomanbietern diesmal deutlich abgenommen.Unter anderem um Smartphones und die Frage der ständigen Erreichbarkeit im Digitalzeitalter geht es auch bei einem neuen Gesetz, das am 1. Januar in Kraft getreten ist. Seitdem haben Arbeitnehmer das “Recht zum Abschalten”. Artikel 55 des nach Arbeitsministerin Myriam El Khomri benannten Gesetzes zur Reform des Arbeitsrechts verpflichtet Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern, mit den Sozialpartnern auszuhandeln, wie Angestellte vor dem digitalen Zugriff ihrer Arbeitgeber geschützt werden sollen. Dies soll helfen, die Zahl der Burn-outs zu verringern und eine bessere Balance zwischen Berufs- und Privatleben zu schaffen.So soll das neue Gesetz zum einen verhindern, dass Arbeitgeber Mitarbeiter bestrafen, wenn sie nach Dienstschluss, am Wochenende oder im Urlaub nicht per Mail oder Handy erreichbar sind. Zum anderen sollen aber auch die Arbeitgeber davor geschützt werden, dass Mitarbeiter von ihnen die Bezahlung von Überstunden verlangen, wenn sie am Feierabend oder in den Ferien dienstliche Mails oder Anrufe beantworten. Das Gesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber selber entsprechende Verhaltensregeln aufstellt, wenn er sich mit den Sozialpartnern nicht einigen kann. Dagegen sind keine Sanktionen geplant, sollte ein Unternehmen dies nicht tun. Dies hatte die Gewerkschaft CGT vergeblich gefordert.Einige große Konzerne wie Solvay, Orange, Allianz und Volkswagen sind bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und haben entsprechende Regeln für die Erreichbarkeit aufgestellt. Der Telekomkonzern Orange hat sich dabei bewusst dafür entschieden, nicht einfach zu einer bestimmten Uhrzeit das dienstliche Mailsystem abzuschalten. Einige Mitarbeiter könnten sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen, noch schnell ganz viele Mails zu verschicken, kurz bevor das System abgeschaltet wird, sagt Philippe Trimborn. Er ist in der Personalabteilung von Orange für soziale Innovationen und die Digitalisierung zuständig. Außerdem, so Trimborn, würden einige Angestellte lieber früher die Arbeitsstätte verlassen und stattdessen abends von zu Hause aus Mails beantworten, wenn ihre Kinder im Bett seien. Orange setzt nun darauf, dass sich die Manager vorbildlich verhalten. “Wir empfehlen ihnen, nicht spätabends noch Mails zu verschicken”, sagt Trimborn. Der Telekomkonzern prüft aber auch technische Lösungen, um die ständige digitale Vernetzung seiner Mitarbeiter zu verringern. Wenn jemand nach Dienstschluss eine Mail verschicken will, könnte beispielsweise automatisch ein Fenster auf dem Computer erscheinen, in dem steht: “Wollen Sie diese E-Mail wirklich jetzt verschicken?”Gerade kleinere französische Firmen fürchten nun, dass das neue Gesetz für zusätzliche Konflikte mit den Arbeitnehmern führen wird. Rechtsanwältin Anne-Sophie Lefur-Leclair findet, dass sich Unternehmen dringend der Gefahr der ständigen Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter bewusst werden müssen. “Es gibt deshalb bereits zahlreiche Rechtsstreitigkeiten”, sagt sie. Meistens gehe es dabei um die Anrechnung von Überstunden und die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Ruhezeiten. Eine unpassende Kommunikation per Mail könnte aber in einigen Fällen auch in Mobbing ausarten, gibt sie zu bedenken.Das weltweit einmalige “Recht auf Abschalten” dürfte französische Unternehmen nun auch dazu bringen, darüber nachzudenken, wie digitale Werkzeuge künftig bei der Arbeit eingesetzt werden. “Französische Angestellte verbringen im Schnitt 30 % ihrer Arbeitszeit damit, ihre Mails zu kontrollieren”, sagt Rechtsanwalt Patrick Thiébart von der Kanzlei Jeantet. “Das wirkt sich zwangsweise auf ihre Produktivität und Kreativität aus.”